Es hat fast vier Jahre lang gedauert, bevor ein neues Album von Inwiefern im Mai 2021 das Licht der Welt erblickte. „Rendezvous mit der Realität“ hat uns direkt begeistert und sich verdient unseren Titel „Album der Woche“ gesichert. Die Band aus der Nähe von Berlin reagiert darauf mit einem Augenzwinkern: „Wir haben davon schon sehr lange geträumt und für solche Fälle ständig eine äußerst ausgefeilte Rede in der Tasche: Vielen Dank!“. Kurz und knapp. Die Überzeugungsarbeit zum Gewinn dieses Titels leistete das Album in gerade einmal 35 Minuten. Es punktet mit kurzen, schnellen Punkrocksongs und jeder Menge Sympathie. Stellt man die ganz einfache Gleichung auf, dass 35 Minuten Musik beinahe vier Jahre Produktionszeit benötigten, macht das unter dem Strich lediglich etwas weniger als neun Minuten produzierte Musik pro Jahr. Bei Inwiefern sieht man das gelassen: „Gut Ding will Weile und so. Die erschreckende Wahrheit ist: Wir sind offensichtlich ziemlich unfleißig. Um ganz genau zu sein sind es allerdings 'nur' 3 Jahre und 9 Monate zwischen den Platten. Diese Gleichung müsste also nochmal überdacht werden.“ Wir halten fest: Es waren neun Minuten und zwanzig Sekunden produzierte Musik pro Jahr. Dafür hat die Weile hier ohne Frage ein ziemlich gutes Ding geschaffen!
Am auffälligsten und provokantesten auf „Rendezvous mit der Realität“ ist der Titel „Euer Stammbaum ist ein Kreis“, welcher zum Rundumschlag gegen besorgte Bürger ausholt und mit einer Gastsängerin namens Luise Fuckface (The toten Crackhuren im Kofferraum) eine nicht nur im Berliner Raum durchaus bekannte Stimme an Bord hat. Die Band kennt Lulu von Konzerten und einer Feier. "Für den Song wollten wir von Anfang an einen Wechselgesang und Lulu war unsere Traumbesetzung. Wir haben ihr dann das Lied geschickt und nach dezentem und unauffällig häufigem Fragen hat sie erschöpft zugesagt.“ Der Titel ist bewusst deutlich ausformuliert, beinhaltet eine zeitgemäße Anspielung an einen gerade eher kritisch gesehenen deutschen Musiker mit Sonnenbrille und stellt sich bewusst gegen die Meinung vieler bekannter Punkbands, solche Aussagen sollten selbstverständlich sein und brauchen keinen eigenen Titel. Im Hause Inwiefern stellt man sich gegen diesen Trend der Selbstverständlichkeit: „Wir hatten nicht vor den tausendsten gleichen Anti-Nazi-Song zu machen und bisher auf solche Songs verzichtet. Die Idee dazu kam durch ein Bild im Internet, auf dem jemand mit einem Schild und den besagten Worten vor einer Gruppe Nazis steht. Das fanden wir ziemlich witzig und da war klar dass, wenn wir überhaupt so einen Song machen, der in diese Richtung gehen muss.“
Auch die aktuelle Corona-Pandemie geht an Inwiefern nicht spurlos vorbei. „Rendezvous mit der Realität“ musste um eineinhalb Monate nach hinten verschoben werden und hätte ursprünglich längst erscheinen sollen. Diese Änderung im Zeitplan hatte allerdings nur bedingt mit der Pandemie an sich zutun. „Tatsächlich wurde das Release nach hinten verschoben, weil die Testpressungen nicht in Ordnung waren. Aber die Hoffnung auf ein mögliches Release-Konzert war beim Verschieben der Veröffentlichung definitiv ebenfalls im Hinterkopf.“ Dieses Release-Konzert wird so leider nicht stattfinden können. Stattdessen spielte die Band am 27. Mai ein Streamingkonzert aus dem Cassiopeia Club in Berlin, um zumindest ein bisschen Konzertgefühle zum Release verspüren zu dürfen. Für Inwiefern ist dieses Erlebnis mit einem Konzert vor Publikum nicht zu vergleichen, hat aber seine Daseinsberechtigung: „Das ist unser erstes 'Konzert' dieser Art. Natürlich kann das kein richtiges Konzert-Erlebnis ersetzen, da ja das Publikum als entscheidende Komponente fehlt. Wir sind aber total froh, überhaupt etwas machen zu können und diese Möglichkeit vom Cassiopeia Berlin zu bekommen. Außerdem können die Leute dazu für den Club und die Angestellten spenden und so haben die vielleicht auch etwas davon. Ist also keine schlechte Sache. Wir hoffen, dass sich die Lage in der nächsten Zeit ändert und dann endlich wieder mehr möglich ist. Wir sind auf jeden Fall heiß darauf und vermissen das sehr, egal ob auf oder vor der Bühne.“
Sobald der Tag gekommen ist, dürfen sich die Fans von Inwiefern gemeinsam mit der Band also wieder auf bierdurchtränkte Punkrockshows freuen. Die Nummern vom neuen Album versprechen dabei auf keinen Fall zu wenig Anlass zum Feiern. Die Musik der Band wird live genauso gut funktionieren wie auf dem Album, davon darf man ausgehen. Dass die Inhalte der Texte aus dem wahren Leben stammen und selten fiktiv daherkommen, verleiht der Band eine ordentliche Dosis Authentizität. Gute Beispiele dafür sind die Titel „Punk is Dad“, welcher das Abschwören von ungesunden Gewohnheiten als frisch gebackener Vater behandelt, sowie „Gut am Glas“, welcher sich mit eben diesen ungesunden Gewohnheiten befasst. Ein Thema, welches die Band aktuell auch im Leben außerhalb der Musik beschäftigt: „Den besungenen 'Punk is Dad'-Dad gibt es ganz klar! Gleich mehrere in unserem Umfeld und sogar einen in der Band. Und höchstwahrscheinlich werden es immer mehr.“ Zur Definition, wie genau sich das Talent gut am Glas sein definiert, sagen Inwiefern: „Da haben wir uns noch keine Gedanken drüber gemacht. Ein weiser Mann sagte einst: Du bist immer dann am besten, wenn´s dir eigentlich egal ist.“
In unserer Review zum Album behaupten wir „Perfekt abgestimmter Gesang und einwandfrei ausproduzierte Songs würden dieses Album um jeglichen Unterhaltungswert berauben.“ Was bewusst aufreizend formuliert ist und auch als Kritik aufgenommen werden könnte, trifft genau die Mentalität von Inwiefern: „Das hätte von uns sein können und würden wir so unterschreiben.“ Es geht um Spaß und um Punkrock. That’s it. Aber was zählt für eine kleine Band wie Inwiefern? Ist es lediglich der Spaß an der Sache, oder schielt man auf den großen Erfolg? Reichen Shows in der Provinz den eigenen Ansprüchen aus? Oder will man irgendwann zum Nürburgring und die großen Festivals? Inwiefern haben zu diesen Fragen geteilte Ansichten: „Also wir machen das ganze ja nun schon ziemlich lange äußerst erfolgreich ziemlich erfolglos. Von daher ganz klar: Spaß. Allerdings könnte dieser ungebremste Arbeitsdrang auch langsam mal mit Erfolg belohnt werden. Den Nürburgring schließen wir also nicht kategorisch aus.“