Im Kreuzverhör

Im Kreuzverhör #51: Moxie - "The Dawn of Motion"

Einmal monatlich stellt sich die Redaktion gemeinsam Platten außerhalb ihrer Komfortzone. Dieses Mal wirft Kai "The Dawn of Motion" von Moxie in den Ring.

Irish Folk als Genre spielte in meinem Musikgeschmack meistens eher die zweite Geige (höhö). In den allermeisten Fällen, in denen Künstler:innen, vor allem aus dem Bereich der Rockmusik, versuchen traditionelle Instrumente wie Banjo, Akkordeon oder die berühmte Tin-Whistle in ihre Version von Punk, Rock oder Metal einzubinden, endet das in einem peinlichen Cheesiness-Fest (außer bei Flogging Molly, Flogging Molly dürfen alles!). Dass es aber auch ganz ohne Cringe funktioniert, irische Volksmusik zu modernisieren, beweisen Moxie auf diesem Album eindrucksvoll. Meine Liebe zu irischen Künstler:innen beschränkte sich bis 2021 vor allem auf Fontaines D.C., die sich mit ihrem manischen Post-Punk und dem schmuddeligen Dubliner Charme schon lange in mein Herz geschrammelt hatten. Als ich aber bei einer Irlandreise im Herbst 2021 in einer Hostelküche stand und Gemüse schnibbelte, drangen Akkordeonklänge an meine Ohren, die ich so noch nie gehört hatte. “Slimp”, der vierte Track von “Dawn of Motion”, war mein Türöffner in das Genre Post-Trad, und diese Anspielstation ist auch die, die ich allen ans Herz legen möchte, die das auch nur ansatzweise interessant finden. Denn wenn ihr das nicht geil findet, werdet ihr auch den Rest des Albums nicht feiern.

Moxie bedienen sich zwar derselben Instrumente, die auch Mainstream-Rockacts wie zum Beispiel die Dropkick Murphys verwenden, schaffen mit ihnen aber einen völlig anderen Sound. Songs wie “Slimp” oder “Eyes on Pluto” erinnern fast eher an Bands wie Polyphia. Dynamische, komplexe und trotzdem eingängige Melodien, aber eben auf einen tanzbaren Rhythmus. “Dawn of Motion” alterniert zwischen diesen Instrumental-Bangern und den zurückhaltenderen Tracks, auf denen vor allem der Gesang von Sängerin Julia Spanu im Vordergrund steht. Und hier findet sich die zweite Komponente, die “Dawn of Motion” so faszinierend macht. Spanu ist erst zu diesem Album dazugestoßen und bringt französische, italienische und vietnamesische Kultureinflüsse mit in die Band. Ihr markanter Gesang verleiht den Songs eine Mystik, die die detailreichen Instrumentals dabei aber nie überschattet. Moxie und “Dawn of Motion” sind eine der größten musikalischen Entdeckungen, die ich in den letzten Jahren gemacht habe.

Mein erster Durchlauf von „Dawn of Motion“ war geprägt von sehr viel „Woah“, „Alter“ und „Oh mein Gott“. In 45 Minuten werden hier auch ungefähr genauso viele musikalische Aspekte und Augenblicke geschaffen und zu einem Konvolut der Erfrischung gepresst. Hört sich das Album im einen Moment noch an wie TTNGs "Animals", klingt es im nächsten Akt nach Folk-Punk und dann wieder, als würde man über einen Mittelaltermarkt streifen. Immer und immer wieder werden neue Instrumente, Gesangseinsätze und Hintergrundgeräusche eingeworfen um Hörer*innen noch mehr aus der Bahn zu werfen, dazu dann immer wieder der dynamische Wechsel zwischen und in den Songs und das geordnete Chaos ist perfekt.

Wenn ihr also mal wirklich umgepustet werden wollt, hört das in Gänze!

Für ein paar Sonderbarkeiten sind sowohl das Kreuzverhör als auch Kollege Kai ja immer mal gut. So auch in diesem Fall: Das Cover der neuen Kreuzverhör-Platte ließ mich eher ein futuristisches Elektronikwerk vermuten, doch hinter "The Dawn Of Motion" verbirgt sich tatsächlich irische Folklore - zumindest irgendwie. Die Ästhetik dieser Musik, mit der man mich tendenziell eher jagen als beglücken kann, wird hier nämlich durch eine Prog-Kanüle gedrückt und spuckt so am Ende einen Haufen Songs aus, in denen so viel scheinbar Gegensätzliches passiert, dass ich es noch immer nicht ganz zusammenkriege. Auch die Entscheidung, die Platte über größere Strecken instrumental zu gestalten, steht ihr sehr gut, denn so können die Kompositionen erst wirklich zur Geltung kommen und tatsächlich auch - Überraschung für mich - die Art der Instrumentierung gefällt mir so viel besser. So ganz tief drin stecke ich noch immer nicht, dazu wirkt das alles immer noch zu fremd. Aber neugierig bin ich. Mal schauen, wie es weitergeht.