Unter dem Radar

Unter dem Radar #19: Knife Eyes

Man könnte den Eindruck gewinnen, eine musikalische Sozialisationsgeschichte wäre schnell erzählt, wenn eine junge Band deutschen Post-Punk spielt und dazu noch ausgerechnet aus dem Die-Nerven-Karies-Zentrum Stuttgart kommt. Zum Glück hat die Story von Knife Eyes aber ein paar Ebenen mehr – und die hört man.
Knife Eyes

Heimatstadt: Stuttgart
Genre: Post-Punk, Post-Hardcore
Bisher veröffentlicht: „Gewirr“-EP
Für Fans von: Die Nerven, Apaath, Lygo

Die Deutsche Musiklandschaft ist hervorragend darin, über sich selbst zu meckern. Jan Böhmermanns Max-Giesinger-Tirade ist längst zur Vorlagenfolie für den Abgesang der landeseigenen Popmusik geworden, die Punkszene wurde auch hier mehr als einmal für tot erklärt und ganz generell scheint es in Deutschland ein Kompliment zu sein, wenn man über einen „internationalen Sound“ verfügt – ein Attribut, das etwa in Schweden wohl eher mit der Anbiederung an amerikanische Standards verbunden werden würde, hier aber aus irgendeinem Grund ein Qualitätsmerkmal darzustellen scheint. Natürlich ist nie alles so ganz Schwarz oder Weiß, aber die berechtigte Neigung der Deutschen zum Antipatriotismus scheint auch in der Musik verwurzelt zu sein.

Zwei Strömungen der letzten Jahre scheinen dieser Bewegung allerdings entgegenzuwirken und können zumindest ein bisschen die Zeit Ende der 60er Jahre wiederaufflammen lassen, in denen Krautrock einmal das Zentrum der popkulturellen Avantgarde bildete. Zum einen wäre da die Mitte der 2010er-Jahre aufgeflammte neue Welle deutschen Post-Hardcores zu nennen, die ausgehend von Escapado und um die heutigen Speerspitzen Fjørt und Heisskalt eine ganze Menge Nachahmer um sich versammelte. Zum anderen ist da die wiederentdeckte Liebe zum Post-Punk, der sich unter der Federführung von Die Nerven und unter deutlichem Einfluss von Genre-Retrospektiven wieder völlig neu positionierte. Beide Bewegungen kommen aus dem Underground und haben zumindest mit ihren Leitfiguren auch den Sprung in verhältnismäßig große Clubs geschafft – vielleicht das prägende Zeugnis dessen, warum beide Szenen das Dogma der deutschsprachigen Anti-Musik etwas aufzulösen vermögen. Die Pointe dieser langen Vorrede? Knife Eyes aus Stuttgart sind vielleicht die Band, die die Errungenschaften beider Strömungen am akkuratesten in einem einzigen Sound zu vereinen mag.

„Ich bin aus Berlin nach Stuttgart gezogen und habe Lorenz und Edgar auf einem Konzert ihrer alten Band kennengelernt“, erinnert sich Sänger Max. „Tatsächlich war dieser Gig eine der ersten Sachen, die ich in Stuttgart gemacht habe.“ „Das ist schon das dritte oder vierte Projekt von Edgar und mir“, ergänzt sein Bandkollege Lorenz. „Wir machen wirklich schon ziemlich lange Musik zusammen. Mit Knife Eyes haben wir auch unter anderem deswegen angefangen, weil unsere alte Band zu Ende gegangen ist.“

Die abseitigen Banderfahrungen von Max und Lorenz sind klanglich durchaus vielfältig, zeichnen aber auf durchaus interessante Weise den Sound nach, der sich schließlich in Knife Eyes kanalisiert. Lorenz bewegt sich von zwei Hardcore-Metalcore-Projekten in eine Black-Metal-Band, bevor er sich unmittelbar vor seiner aktuellen Band an Indie-Musik versucht. „Vom Gefühl her ist das hier das melodiöseste und leichteste meiner bisherigen Projekte, aber gleichzeitig auch das stimmigste“, beurteilt Lorenz diese Laufbahn. „Es war schon eine ganz schöne Reise bis hierher.“ Max wiederum spielt während seiner Berliner Zeit in der Metalcore-Band Rivals In Friends, außerdem ist er in dem Emo-Akustik-Projekt Hiding aktiv. „Ich habe mich nie so wirklich viel mit Post-Punk beschäftigt, erst Edgar hat mich da so ein wenig herangeführt“, erzählt Max, wie er sich schließlich auch an die klanglichen Ursprünge von Knife Eyes herangetastet hat. „Die Band, die mir die Tür geöffnet hat, war Idles, für den deutschsprachigen Raum waren es wohl Messer. Auch Fjørt sind eine der frühen Bands, die ich in dem Bereich gehört habe – wohl auch, sie etwas stärker meiner Hardcore-Affinität bedienen.“

Die Referenzen Idles und Messer zeigen in diesem Zusammenhang einen interessanten Dualismus auf: Obwohl beide Bands recht einig mit dem Label „Post-Punk“ betitelt werden, zeigt der Sound beider Acts doch in deutlich unterschiedliche Richtungen. Beide haben die monotonen und pulsierenden Rhythmen und Basslinien gemein, aber Idles werfen sich mit ihren zerstörerisch-dreckigen Gitarrenriffs viel mehr in die Bresche des urtümlichen Punks, während Messer mit ihren vertrackten Erzählungen eher die experimentelle Soundschicht suchen. Das Max zusätzlich noch Fjørt mit ihrem großflächigen Post-Hardcore-Wagemut in den Ring wirft, ist eigentlich eine ziemlich gute Zusammenfassung vom Knife-Eyes-Sound. Die Band beherrscht das Hymnische ebenso wie das Reduzierte, das manisch Pulsierende ebenso wie das zügellos Ausbrechende – eine Art taumelnder Konsens der aktuell spannendsten Gitarren-Undergrounds.

Auf vier Songs ist diese Gratwanderung bisher zu hören. Die erste Knife-Eyes-EP trägt den Titel „Gewirr“ und kommentiert damit nicht nur die lyrischen Themen des Werks, sondern auch die Zusammensetzung des Sounds. „Wir haben öfter das Feedback bekommen, das unsere erste EP schon gut ist, man aber merkt, dass wir uns aktuell noch in der Findungsphase befinden“, berichtet Lorenz. „Das ist aber OK so und ich denke auch völlig normal. Es ist wohl eher die Ausnahme, wenn eine Band gleich beim ersten Mal eine perfekte und komplett runde Platte veröffentlicht. Von daher kann man in dieser Richtung den Namen auch aufgreifen – da kommen wir her, da stehen wir aktuell.“ „Letztendlich ist das ‚Gewirr‘ die Stimmung, die auf der EP auf mehreren Ebenen entstanden ist – von den Lyrics über die Musik bis hin zum Entstehungsprozess“, ergänzt Max.

Gerade wegen dieser leichten Unbestimmtheit vermag „Gewirr“ aber, seine besonderen Vorzüge zu entfalten. Das klangliche Spiel mit dem Feuer gelingt Knife Eyes so gut, weil es immer nur dann entfacht wird, wenn es der Sound förmlich fordert. Die Band ist so vielleicht das Bindeglied, das ihrer Stuttgarter Szene bisweilen zu fehlen scheint. „Die Hardcore- und Metalcore-Szene ist hier ziemlich lebhaft“, meint Lorenz. „Da gibt es das Jugendhaus, in dem wir proben. Hier finden auch regelmäßig Konzerte statt, da kommen auch Bands aus Übersee. Diese Post-Punk-Szene scheint da noch etwas mehr Underground zu sein. Ich habe das Gefühl, dass es da schwieriger ist, einen Fuß in die Tür zu bekommen.“

Zur Verbreitung ihres ersten Werks haben Knife Eyes durchaus ungewöhnliche Wege gewählt. Standesgemäß gibt es „Gewirr“ natürlich auf allen digitalen Plattformen – aber eben auch auf Kassette und Floppy Disk. Letztere Version der EP enthält 8-Bit-Versionen der Songs. „Auf Floppys passt ja so gut wie nichts drauf, egal wie sehr du es komprimierst“, erläutert Lorenz den Gedanken dahinter. „Gut, irgendwie geht das wahrscheinlich schon, aber dann hörst du halt nichts mehr. Ich hätte nie damit gerechnet, dass überhaupt noch irgendjemand einen Computer hat, mit dem er sowas auslesen kann. Dann hat uns aber tatsächlich mal jemand angeschrieben, der uns sagte, er hätte die Diskette gern verwendet, aber sie sei kaputt gewesen. (lacht) Wir dachten uns: Das kann jetzt echt nicht wahr sein. Bei der wahrscheinlich einzigen Person, die das überhaupt versucht hat, ist die Diskette kaputt. Wir haben dann nochmal eine geschickt.“

Für die kommende Zeit haben Knife Eyes bereits eine neue Platte geplant. Ursprünglich wäre für April eine Aufnahmesession geplant gewesen, die Band aus bekannten Gründen aber zunächst auf Eis legen musste. Die Songs laufen aber nicht davon und man darf gespannt sein, wo der Sound von Knife Eyes in Zukunft Heim finden wird. In jedem Fall wird der deutsche Underground wohl zufrieden lächeln.