Reviews

Swans und „The Beggar“: Pre Mortem

Das muss man auch erstmal schaffen: Michael Gira hat sich um Swans einen derartigen Kosmos aufgebaut, dass auf „The Beggar“ sogar das Gewöhnliche eigentümlich klingt.

Über dem neuen Swans-Album und den letzten Jahren in Michael Giras Lebenswelt schwebte immer mehr ein Gefühl von Endlichkeit – und das hat nicht nur etwas damit zu tun, dass „The Beggar“ vor dem Hintergrund einer Isolation während der Pandemie stand. 2024 wird Gira, das amerikanische Noise-Mastermind hinter Swans 70 und setzt sich allmählich scheinbar mit dem Abschied aus dem eigenen Leben auseinander. Sein neues Album kündigte Gira mit dem Gedanken an, dass ihm bewusst sei, hier möglicherweise das letzte Werk seiner Karriere zu veröffentlichen. Hätten Swans‘ Werke nicht schon immer die Schwere gesamter Existenzen in sich getragen, spätestens jetzt würden sie es tun.

„The Beggar“ gleicht unter diesem Hintergrund nicht unbedingt wie etwa David Bowies „Blackstar“ einem künstlerischen Manifest im Angesicht des Todes, das kurz vor dem Jenseits noch einmal alles komplett umdrehen möchte. Das wäre wohl aber auch gar nicht der Stil eines Künstlers, dessen ganzes Leben aus dem Umdrehen von Normen und der Kreation seiner ganz eigenen Ästhetik gestanden hatte. Das Thema Abschied ist deswegen gerade in Arrangement-Umgebungen gekleidet, die sich vertraut anfühlen. Am deutlichsten wird der „The Beggar“ innewohnende Geist wohl in dem in dieser Hinsicht äußerst frappierend betitelten „Michael Is Done“, in dem Gira die eigene Vergänglichkeit zur Sprache bringt. „When Michael is gone / Some other will come. / When the other has come, then Michael is done”, heißt es dort. Und plötzlich ist alles nichtig.

Dabei hat gerade ein Michael Gira in seinem Leben das Glück, ein Universum geschaffen zu haben, das ein Bleiben auch über die Daseinsspanne seines Urhebers geradezu erzwingt. Wie stark die Identifikation der Klangwelt von Swans mittlerweile ist, spürt man auf „The Beggar“ vor allem dann, wenn sie mit ihren Erwartungen bricht. Das – man muss es wirklich so sagen – nur dreieinhalbminütige „Los Angeles: City Of Death“ klingt auf fast schon obskure Art und Weise kompakt geordnet, geordnet melodisch, außerhalb der Swans-Welt gewohnt – in seiner Absurdität poppig? Die Irritation dieses Moments kann man vielleicht nur in voller Größe erfassen, wenn man sich vor Augen führt, dass auf der selben Platte eine Komposition solchen Ausmaßes vertreten ist, dass sie selbst auf zwei Seiten einer Vinyl zusammen nur knapp Platz finden könnte. „The Beggar Lover“ ist dabei über den Großteil seiner 43-minütigen Laufzeit mehr packendes Hörspiel mit zahlreichen Wechselspielen und bildet keinen direkten Nachfolger zum ähnlich umfangreichen Monolithen „Bring the Sun / Toussaint L’Ouverture“ von „To Be Kind“, in dem noch eine halbe Stunde über einem einzigen stehenden Akkord arrangiert war. Stattdessen klingt „The Beggar Lover“ fast wie die imaginierte Version eines Lebens, das kurz vor dem Ableben noch einmal am Sterbenden vorbezieht. Diese Vorstellung wird besonders treffend, weil das Stück mit quergeschobenen Versätzen aus dem Swans-Klassiker „Amnesia“ endet, das schon auf dem Vorgänger „Leaving Meaning“ erneut aufgegriffen war.

„The Beggar“ hat so seine großen Momente und diejenigen, die Michael Giras Erbe einfach zu zementieren scheinen. So erreicht dieses Album trotz hohem Niveau nicht ganz die Klasse seines Vorgängers – und lässt doch bitter wünschen, dass dies hier noch keine wirkliche Abschiedsplatte ist.

Fazit

7.8
Wertung

Schon wieder 2 Stunden, schon wieder ein absolutes Monsterstück, schon wieder eine Platte, die sich unendlich viel Zeit für Alles lässt. Michael Gira macht genau die Musik, die das digitale Zeitalter eigentlich erzeugen müsste – und da müssen wir gar nicht nur über die Tracklängen sprechen.

Jakob Uhlig