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Rantanplan und „Ahoi“: Sehnsucht nach Meer

Zu Jahresbeginn 2022 verwarf Rantanplan-Gründer Tobias Meissner ein komplettes Album, da es zu düster sei. Zum Glück – denn mit „Ahoi“ erscheint ein positives und mitreißendes Skapunk-Album der Hamburger Band, das ist wie sie selbst: nordisch direkt.

Euphorische Bläser grüßen zu Beginn des zehnten Albums der Hamburger Skapunk-Band. Der erste, titelgebende Song „Ahoi“ gleicht einer Einladung zu einer fröhlichen Butterfahrt. Na denn: Willkommen an Bord und Leinen los! Der Text und das Laune machende Arrangement des Songs lassen für einen kurzen Augenblick befürchten, dass nun ein thematisch abgedroschenes „Seemanns“-Album folgt, da Sänger und einzig verbliebenes Gründungsmitglied Torben Meissner erst Anfang 2022 ein komplettes Album verworfen hat, da es ihm zu negativ, zu depressiv erschien.

Schon ein erster Blick in einige der Songs von „Ahoi“ zeigen aber, dass diese Sorge unbegründet ist. „Plädoyer für die Elbmündung“ zeigt zum Beispiel, dass sich die Jungs auch hinter aktuellen Themen wie der Elbvertiefung nicht verstecken, sondern diese musikalisch aufgreifen und Position beziehen. Und „Sturmvögel“ richtet seine Kritik an die Gesellschaft, da „zu viele zahme Vögel […] von Freiheit [singen]“, aber kaum noch echte Sturmvögel sich aktiv den immer häufiger auftretenden Problemen der heutigen Gesellschaft entgegenstellen. Im Vergleich zum letzten veröffentlichten Album „Stay Rudel – Stay Rebel“ findet Meissner wieder zurück zu treffenden, zeitgemäßen Texten, die „falsche“ Urbanisierung und Verbauung der Städte („Ich will Meer“) anprangern oder die die gesellschaftliche Orientierungslosigkeit („Schleichfahrt Of The Heart“) aufzeigen.

Generell ziehen sich durch die Texte immer wieder Bezüge zu Meer, Wasser, Seefahrt, Landgang. Deswegen von einem Konzeptalbum zu sprechen wäre nicht richtig. Vielmehr folgt die Platte einer Idee, greift die Sehnsucht nach Meer als Zufluchtsort auf, geschützt vor den Widrigkeiten an Land. Diese Sehnsucht ist menschlich, rational wie emotional nachvollziehbar, existentiell. Aber auch das Gefühl, wie Treibgut ziel- und ratlos im Meer umherzutreiben, erschafft Identifikation.  Und das ist es doch, was die Menschen wollen. Tanzen zu Musik, die sie mitnimmt, sie antreibt und Texte laut mitsingen, mit denen sie sich identifizieren können.

Das schaffen die Songs, die zwischen bläserorientierten Stücken und reinen gitarrendominierten Punksongs („Seeräuberlied“) hin- und herspringen, ohne dem Album zu schaden, sie schaffen vielmehr Abwechslung. Die Bläser dominieren nicht, bilden dennoch mit ihren Beats die treibende Kraft vieler Songs. Man erkennt die Nähe zu den Vorbildern wie Operation Ivy und The Mighty Mighty Bosstones, aber Rantanplan schaffen es wieder einmal, ihren eigenen Ska-Weg zu finden, sich in der großen Skapunk-Gemeinde neben Sondaschule, Frau Doktor oder auch 100 Kilo Herz zu etablieren.  

Letztlich schafft es die Band mit dem Bonustrack „Am Meer“ ihren Frieden mit all den schicksalhaften Stürmen, Untiefen, den Widrigkeiten des Lebens zu schließen: am Ufer sitzend mit sich, einem Herzensmensch an der Seite und einem Bier.

Fazit

7.9
Wertung

Ein positives, aktuelles Werk, das einfache, aber klare Worte findet, aber hier geht es nicht um den Literaturnobelpreis. Diese Sehnsucht nach Meer, die Rantanplan bei mir durch dieses Album geweckt hat, und dem Schicksal, welches die See für mich bereit hält, aber auch der Antrieb, die Segel zu setzen… Fuck, wann war ich das letzte Mal am Meer. Die Musik Rantanplans auf ihrem neuen Album „Ahoi“ ist mitreißend, aber wie das bei Skapunk so ist – mensch muss die Band live erleben, mit den Freund:innen im Arm, hüpfend, schwitzend, grölend vor der Bühne und der im Herzen verankerten Gewissheit: da kennt jemand meine Sehnsüchte.

Frank Diedrichs