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Northlane und "Alien": Eine Synthie-Lawine mit mächtig Wumms

Groovig, fett und mit gigantisch produzierten Weltraumklangwelten präsentieren Northlane ihre Interpretation von Metalcore im Jahr 2019. Für die Bandentwicklung ein logischer Schritt. Doch ist das schon zu viel des Guten?

„Alien“ beginnt mit dem Track „Details Matter“ und damit wie ein fantastisches Enter-Shikari-Album älteren Jahrgangs. Dabei knüppeln Northlane in gewohnter Manier um einiges heftiger als die Trancecore-Briten. Die facettenreichen Synth- und Electroelemente sind mittlerweile Standard im Metalcore, aber Northlane gelingt es, sie detailreich und so gelungen einzuflechten, dass sie die Stimmung aufbauen und tragen, nicht nur ergänzen. Dennoch spielen die Synthesizer oftmals den dominanten Part. Dann sind sie genauso wirkungsmächtig produziert wie die protzig-donnernden Gitarren. Entgegen des Trends amerikanischer und britischer Metal- und Hardcorebands in den letzten Jahren legen Northlane wert auf präsente Gitarren und nicht nur auf Drums'n'Bass und Vocals. Der Gesang, ob clean oder geschrien, folgt ganz im Gegenteil dem Gesamtklang und dem Fluss der Musik und setzt sich nicht zwingend an die Spitze.

Nicht nur der Albumtitel „Alien“ klingt nach Weltraum. Das Intro und auch Momente in "Talking Heads", "Bloodline" und "XXX" haben befremdlich wirkende Soundelemente und Kompositionen. „4D“ erinnert mitunter sogar stark an Pendulum. Vocaltechnisch erobert Sänger Marcus Bridge für sich neue Gefilde mehr und mehr. Gruselig tief knurrende Passagen, wie man sie aus dem Nu-Metal vielleicht kennt und sehr divers verwirklichte Screams von klassischen Fry bis hin zum vermutlich technisch editierten, völlig übersteuerten Kreischen und den Metalcore-Klassikern Klargesang im Kontrast zu bösen Growls und Shouts bietet „Alien“ alles. „Talking Heads“ enthält sogar etwas, das man einen herkömmlichen Breakdown nennen möchte, bevor er sich wieder in gewöhnungsbedingte Sphären begibt. Der Nachfolger „Freefall“ beginnt wie eine verworfene Architects-Demo und „Jinn“ wurde endgültig vom Synthie-Dämon übernommen. Auch der mächtig aufgemachte Chorus kann das nicht gerade biegen.

So einladend Northlanes Riffs und Breaks auch grooven, so fern liegen die Texte dazu den meisten Hörern hoffentlich. „Alien“ ist ein wirklich persönliches Album und wenn die Musik der Ausdruck des Inhalts ist, möchte man lieber gar nicht genauer hinhören. Marcus Bridge besucht auf „Alien“ vor allem seine sehr sehr schwierige Kindheit zwischen verantwortungslosen, drogensüchtigen Eltern, viel Einsamkeit, Kriminalität und der Hölle auf Erden – welcher er mit „Alien“ zu entfliehen versucht. Auch in den Videos zu den vorab präsentierten Singles werden Bridges schockierende Erlebnisse verarbeitet. Jedes Video enthält eine Triggerwarnung, sowie den Hinweis, dass der Inhalt für jüngere Zuschauer nicht angemessen sein könnte.
Zugestehen muss man dem Album, dass es einen wirklich tollen Closer hat. „Sleepless“ überrascht mit Sanftmütigkeit, einem Hauch Versöhnung und mitreißenden Melodien, während Bridge sinngemäß übersetzt singt: „Aus den Augen, aus dem Sinn, aber niemals abgeschüttelt.“

Fazit

6
Wertung

Insgesamt haben Northlane ihren Flow und ihre Wucht nicht verloren. Und ganz nebenbei offerieren sie ziemlich abgefahrene Klangwelten, um ihren Sound noch düsterer zu machen. "Alien" ist im Metalcore-Game 2019 auf jeden Fall konkurrenzfähig.

Merten Mederacke