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Massendefekt und "Lass die Hunde warten": Fortschritt durch Rückschritt

Zwischen "Tangodiesel" im Jahr 2012 und "Zurück ins Licht" im Jahr 2020 versorgten Massendefekt uns alle zwei Jahre mit insgesamt fünf Studioalben. "Lass die Hunde warten" bleibt in dieser Hinsicht seinem Namen treu, hat die Wartezeit auf das neue Album der Düsseldorfer auf vier Jahre verdoppelt und steht jetzt endlich in den Startlöchern!

Die Vorzeichen von "Lass die Hunde warten" sind andere als die des Vorgängers. Mietete sich die Band vor "Zurück ins Licht" in den Niederlanden ein, um die Grundsteine für das Album zu legen, gehen Massendefekt dieses Album wieder etwas altmodischer an. Die zwölf enthaltenen Titel wurden im Proberaum geschrieben, ausgearbeitet und vorproduziert. Das sorgt für Authentizität und gibt der Platte eine raue Seite, wie sie oft im Rahmen der Gitarrenriffs durchbricht. Massendefekt segeln dabei das im Rahmen der bei uns veröffentlichten Rezension zu "Zurück ins Licht" gemalte Bild des Schiffes munter weiter und haben sich das größtenteils wirklich positive Feedback zum Album augenscheinlich zu Herzen genommen. Alles also wie immer im Hause Massendefekt? Bringen wir mal Altbier zu den Düsseldorfern (zu verstehen wie "Butter bei die Fische"): Was steckt drin im neuen und so lange erwarteten "Lass die Hunde warten"?

Es dauert ziemlich genau dreißig Sekunden, bis die Band um Frontmann Sebi vermittelt hat, wo diese Reise hinführen soll: Ein temporeicher Start mit krachenden Drums und dominanter Gitarre, gefolgt von einer zum Mitklatschen animierenden Bassdrum, eine Strophe die die Gitarren etwas in den Hintergrund drängt und anschließend ein Refrain, in dem diese Gitarren zurück in den Vordergrund schießen und zusammen mit dem Gesang die Melodie dominieren. Von Anfang an, auch durch Sebis markante und vor allem seit vielen Jahren bestens bekannte Stimme besteht nicht ein Hauch von Zweifel daran, wessen Album hier gestartet wurde. "Zugvögel" ist ein Titel, der als Opener auch live gut vorstellbar ist: Gerade heraus, gut zum rein kommen und warm werden. Gleichzeitig ist es ein Song, der SO typisch nach dieser Band klingt.

"Lass die Hunde warten" macht vor allem eines: RICHTIG LAUNE! Ob es jetzt an der knapp vierjährigen Abstinenz liegt oder daran, dass Massendefekt uns ein Album vorwerfen, das an so vielen Stellen mit Melodien und Details zu unterhalten weiß: Es gibt einfach nicht viel zu Meckern.

"Nicht OK" zum Beispiel präsentiert sich trotz ernstem Inhalt, der Text ist an eine Person gerichtet der gerade einfach alles in dieser Welt zu viel ist, als eins der vielen Highlights auf diesem Album. Hier wird eine Gitarre im Hintergrund aus- beziehunsgweise einklingen gelassen, dort an einem ähnlichen Punkt im Song abrupt gedämpft. Das macht vor allem mit den entsprechenden Stereo-Lautsprechern einfach Spaß und vor allem auf Kopfhörern kommen Details in den entlegendsten Ecken des Gesamtbildes zum Vorschein, wenn mensch denn genau hinhört. "Disko" bedient das altbekannte genretypische Motto "Nichts auf die Meinung anderer geben" und liefert dazu einen schick tanzbaren Refrain. "Halt die Welt an" ist die große Hoffnung auf Besserung der derzeit vor sich gehenden Prozesse, schießt gegen die gemütlich hinter dem Tellerrand hockenden und platziert DIE Message des Albums: "Lass die Hunde warten, unsere Story geht noch weiter, halt die Welt an bevor wir alles vor die Wand fahren!" Hier schließt sich der Kreis zum Albumtitel: Wir lassen die Welt nicht vor die Hunde gehen! Lass die Hunde warten! Am Ende des Tunnels brennt noch Licht.

Etwas Kritik auf hohem Niveau am neuen Werk von Massendefekt bleibt dann aber doch. "Tag am Meer" haut uns mit seiner "Der letzte Tag am Meer ist schon zu lange her"-Message weder inhaltlich noch musikalisch total von den Socken. Ähnlich sieht es bei "Solitär" oder "Teufel" zum Ende des Albums aus. Beides sind keine schlechten Massendefekt-Songs, der Rest des Albums ist hingegen einfach zu stark, sodass sie etwas abgehängt werden. Unter dem Strich schimpfen im Bezug auf Bands im Genre Punkrock schnell immer alle über "Ausverkauf!" oder die generelle und viel zu oft zu Unrecht verteufelte "Veränderung". Massendefekt sorgen mindestens mit dem zweiten Album am Stück dafür, dass wirklich gar kein Platz für solches Gerede ist. Und das ist nicht nur gut so, sondern beschert eine uneingeschränkte Empfehlung von "Lass die Hunde warten".

Fazit

8.5
Wertung

Massendefekt wären mir in den vier Jahren zwischen "Zurück ins Licht" und dem neuen Werk "Lass die Hunde warten" beinahe etwas entglitten. Manchmal braucht es wohl einfach nur ein neues Album, um ein altes Feuer wieder zu entfachen. Das Album klingt unperfekter und dadurch weder greifbar besser noch schlechter als der Vorgänger, doch einfach wieder ein bisschen anders. Und da Abwechslung, ohne das große Ganze aus den Augen zu verlieren, noch nie geschadet hat, hatte ich vor allem Spaß mit diesem Album. Die große Frage zum Schluss: Wann bringt der Postbote endlich die Vinyl?

Mark Schneider