Reviews

Finte und „Wie das Endliche treibt“: Die Hoffnung auf die Endlichkeit

Finte sind schon seit Jahren ein Geheimtipp in Sachen Prog-Math-Core. Auf ihrem Debütalbum muss die Band beweisen, dass sie auch über längere Strecken überzeugen kann – und verwirklicht das in mehrerlei Dimension.
Finte wie das Endliche treibt Cover

Wer sich nach dem morgendlichen Aufstehen in den letzten Jahren getraut hat, über den Rand der eigenen vier Wände in das tobende Weltgeschehen zu blicken, der dürfte mitunter immer wieder das Gefühl der Rastlosigkeit gespürt haben. Die Empfindung von Sicherheit ist in vielerlei Hinsicht zur eigenen Aushandlungssache geworden, Ruhepole finden wir eher in unseren kleinen Komfortbereichen als im Weltzusammenhalt. Aber wenn die Einflüsse des gesellschaftlichen Geschehens unsere eigenen Grenzbereiche berühren, kann man unter Umständen selbst eigentlich kaum noch wissen, wo man irgendwie mal ankommen soll. Das alles kann einen rasend machen.

Der Sound von Mathcore-Bands wie The Hirsch Effekt oder Between The Buried And Me kann in diesem Zusammenhang als durchaus repräsentativ für so manches Gefühl gedeutet werden, das einen in diesem Zusammenhang immer wieder ereilt. Mit maximal unbequemer Klangästhetik ist dort jede komfortable Heimkehr nahezu ausgeschaltet. Die Faszination der virtuosen Instrumentalakrobatik, die Vertreter:innen dieser Sparte immer wieder an den Tag legen, ist interessanterweise oft dann am besten, wenn sie im Wust der Emotionen manchmal völlig in den Hintergrund rückt. Ein probates Mittel dafür war stetig das Austarieren dramaturgischer Hoch- und Tiefpunkte, die an die Stelle einer fast schon abstumpfenden Gewaltästhetik traten.

Womit wir endlich bei Finte angekommen sind, die sich dieser Gratwanderung auf ihrer neuen Platte „Wie das Endliche treibt“ mit einer bisher ungekannten Dringlichkeit stellen müssen. Das hat vor allem zwei Gründe: Erstens sind die vorliegenden zehn Tracks das erste Werk des Quartetts in Albumdimension, was grundsätzlich mehr Gespür für dramaturgische Bögen erfordert. Und zweitens beschäftigt sich besagte Platte auch inhaltlich mit Ambivalenzen, mit entgegengesetzten Gefühlen von Klarheit und Hilflosigkeit, mit der eigenen Doppelmoral im Angesicht politischer und ökologischer Krisen. Mit dieser Zweischneidigkeit stellen sich Finte eine kompositorische Aufgabe, die musikalisch wie inhaltlich durch Gratwanderungen definiert ist.

Um diesen durchaus komplexen Prämissen gerecht zu werden setzt die Band auf die wohl weittragendsten Songs, die sie je geschrieben hat. Finte bauen dabei in ihrem Gestus fast schon orchestral anmutende Sequenzen in die Tracks ein, die den klassisch-berstenden Band-Passagen einen emotional geschickt eingefädelten Kontrapunkt entgegenstellen. Schon das eröffnende „Ende“ stellt eine von der Gruppe bisher völlig ungekannte Klangdimension dar, die in der Sphäre des Arrangements einerseits stark an entsprechende Parallelstellen im Werk von The Hirsch Effekt erinnert, anderseits aber auch eine Soundbreite der Dimension Fjørt entfaltet. Parallel dazu wird unheilvoll das „Ende der Vernunft“ angekündigt. Die Zügellosigkeit dieses Gefühls entfalten Finte in den folgenden Songs immer wieder, wenn sie innerhalb der beeindruckenden Beherrschung ihres Handwerks immer wieder in geradezu ohnmächtig taumelnde Arrangements geraten. Das neunminütige „Herbst“ etwa ist eines der Highlights der Platte, weil es über seine gesamte Dauer fast schon wie die langgezogene Analogie einer menschlichen Atemfrequenz erscheint: Immer wieder bäumt sich der Song auf, um im nächsten Moment wieder hinabzustürzen und den nächsten Höhepunkt vorzubereiten.

Nicht nur in der Komplexität dieser insgesamten großformalen Anlage, sondern auch in ihrem Stil scheinen Finte über die Jahre an Sicherheit gewonnen zu haben. Das bewies schon vor einiger Zeit die Single „Zersetzung“, die auch Teil dieser Platte ist. Dort zeigt die Band trotz aller Waghalsigkeit ihres Sounds ein bemerkenswertes Talent zur Eingängigkeit, das sich aber deutlich organischer ins Gesamtgefüge eingliedert als noch auf früheren Veröffentlichungen. Während etwa „Helios“, ein Song von Fintes erster EP „Ignoranz und Illusion“, noch etwas mit seiner melodischen Dimension fremdelte, kann sich die wütende Hook hier ideal in der restlichen Raserei des Tracks aufplustern und wirkt kaum wie ein Kontrastmittel, sondern wie ein geschickt gesetztes Highlight. Das bedeutet nicht, dass die Unterschiedlichkeit in Fintes Musik fehl am Platz wäre. Ganz im Gegenteil sorgt sie etwa in „Im Licht“ für einige der größten Momente auf der Platte. Aber Finte beweisen dabei ein unheimliches Verständnis für allmählich anschwellende akustische Gewalten, in denen auch der stärkste Kontrast dann gerade wieder überraschend wirkt. „Wie das Endliche treibt“ reißt einen so über seine Gesamtdauer immer wieder mahlstromartig mit, unnachgiebig, unkontrollierbar. Das beschreibt die Talfahrt des Seins erschreckend gut – nur die Frage nach der Endlichkeit von alldem bleibt mit einem schmerzenden Fragezeichen zurück.

Fazit

8
Wertung

Finte können es auch auf Albumlänge. Vielleicht zwingt sie das Format sogar gerade dazu, ihre besten Qualitäten hervorzurufen. Eine Platte so überwältigend wie der Blick in die Nachrichten.

Jakob Uhlig
7.7
Wertung

"Wie Das Endliche Treibt" erinnert mich in seinem mühelos unprätentiösen Hin und Her zwischen überwältigender Brutalität und sphärischer Zerbrechlichkeit unweigerlich an die ersten beiden Alben der "Holon"-Trilogie von The Hirsch Effekt. Als wäre das nicht schon Grund genug die Platte zu lieben, finden Finte (entgegen dem, was dieser Bandname verspricht) in all diesem komplexen Wirrwarr eine erfrischend direkte, schnörkellose Zugänglichkeit.

Kai Weingärtner