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Empire State Bastard und “Rivers Of Heresy”: Der Name braucht ein Kind

Es klingt wie eine Schnapsidee (ist es auch): Ein Bandname, der seit einer langen Nacht im Tourbus in den mentalen Katakomben zweier Musiker herumgeistert, bis einer von beiden irgendwann dem anderen sagt: “Ich hab’ da was geschrieben.”

Mike Vennart und Simon Neil sind keine unbeschriebenen Blätter. Enge Freunde seit Jahren, Vennart unterstützt neben seinen eigenen Projekten Oceansize und Vennart Simons Band Biffy Clyro als Live-Gitarrist. Eine gemeinsame Idee der beiden war seit langem die Band Empire State Bastard – ein Name, der lange nur eine leere Hülle war, das Konzept von der “meanest music ever”, wie die beiden selbst sagen. Bis jetzt. Nach irgendwas zwischen zehn und fünfzehn Jahren Wartezeit steht nun “Rivers Of Heresy”, das Debütalbum von Empire State Bastard. Und schon die ersten beiden Singles “Harvest” und “Stutter” ließen vermuten, dass Vennart und Neil es ernst gemeint hatten mit der “meanest music ever”.

Dass Simon Neil ein Faible für verschrobene, unkonventionelle und angeproggte Musik hat, überrascht Fans seiner Band Biffy Clyro kaum. Wo sich das Trio aus Ayrshire aber oft dazu entscheidet, diese Vertracktheit mit der großen Pop-Geste zu vereinen, nehmen Empire State Bastard immer den diametral anderen Weg. Brutale Riffs, die sich unaufhaltsam durch den von niemand geringerem als Slayer-Drummer Dave Lombardo mit schier übermenschlicher Resilienz in die Felle gehämmerten Takt fressen, und ein wie eine aufgespießte Todesfee kreischender Simon Neil. “Rivers Of Heresy” ist musikgewordenes Chaos. Auch wenn Simon selbst ganz bewusst keines der Riffs des Albums geschrieben hat, aus Angst es würde sofort nach Biffy Clyro klingen, kann sich die Band den Reminiszenzen nicht ganz erwehren. Wo sich in einem Biffy-Set die Live-Intensität ins Unermessliche schraubt, wenn Neil einen seiner heiseren Schreie loslässt, so fährt einem beim Hören von “Rivers Of Heresy” ein kalter Schauer den Körper entlang, wenn er mal nicht schreit. Der markante Wechsel zwischen diesen Gesangsformen verleiht Songs wie dem ansonsten brettharten “Stutter” eine fast schon astrale Mystik.

Lyrisch ist “Rivers Of Heresy” ein tosender Strudel aus eklektischem Sozial-Kommentar und Graben mit bloßen Händen im Sumpf menschlicher Abgründe. Während sich die Instrumental-Fraktion, am Bass ergänzt durch Naomi MacLeod, durch die taumelnden Songs prügelt, hält Neil sich Hals und Hände frei für den Gesang und dessen Performance. “Sons and Daughters” reflektiert auf angemessen verzweifelte Weise die Tragik des russischen Angriffskrieges, “The Looming” prophezeit manisch das Ende der Welt, und “Palms of Hands” widmet sich dem gerade in der Pandemie allgegenwärtigen Schrei nach menschlichem Körperkontakt, und der kriechenden Realisation, dass nicht jede Art dieses Kontakts erwünscht ist. Diese Texte, kombiniert mit der “meanest music ever”, zeichnen ein Bild der Realität im Jahr 2023, das nicht viel Grund zum Hoffen gibt; und doch ist “Rivers Of Heresy” irgendwie eine euphorisierende Erfahrung.

Fazit

8.4
Wertung

Ich liebe alles daran! Es ist, als hätten die beiden Hauptfiguren von Wunschpunsch Biffy Clyro, Coilguns und Sleep in einen großen Topf geschmissen und den Herd auf höchster Stufe vergessen.

Kai Weingärtner