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Dritte Wahl und "Urlaub in der Bredouille": Der Matrix den Stecker ziehen

In den letzten 35 Jahren wurden Dritte Wahl nicht müde, die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Missstände anzusprechen. Ihr zwölftes Studioalbum „Urlaub in der Bredouille“ macht da keine Ausnahme, schließlich läuft weiterhin einiges gehörig schief. Und nach 35 Jahren kompromisslosem Deutschpunk denken die Rostocker immer noch nicht ans Aufgeben.

Die Band, die noch zu DDR-Zeiten 1988 in Rostock gegründet wurde, ist vertraut mit drohenden Repressionen, mit Unrecht und Unterdrückung, Zensur und wirtschaftlichen Fehlentwicklungen. Wer die Bandhistorie verfolgt hat, erkennt, dass die Band von Beginn an sich zum Auftrag gemacht hat, der Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten.

Das Album „Urlaub in der Bredouille“ greift in der üblichen kämpferischen Direktheit und textlich politisch links orientiert die aktuellen Krisen auf. Der Spätkapitalismus bildet dabei einen Schwerpunkt, der mit „Wir schießen die Milliardäre ins All“ gleich eine ironisch-augenzwinkernde Lösung bietet. Aber den Hörenden bleibt das Lachen bei „Panama“ und „Das regelt der Markt“ im Halse stecken, zu realistisch sind die Beschreibungen des Neoliberalismus und die Wut hinter den Lyrics.

Der titelgebende Track „Urlaub in der Bredouille“ zeichnet eine Irrfahrt nach, die eigentlich nur eine Botschaft hat: Wer aufmerksam seine Umwelt wahrnimmt, erkennt, dass bereits alles dahinsiecht: Umwelt- und Klimakatastrophen, Kriegsfolgen, Kapitalismus oder Hungersnöte dominieren unsere Welt. Da wird die Fahrt in den Urlaub eine Reise in sich täglich öffnende Abgründe, in denen die Krisen nur darauf warten, der Menschheit um die Ohren zu fliegen – eindrucksvoll im Cover des Albums dargestellt.

Musikalisch folgen die Musiker altbekannten Pfaden. Gunnar Schroeder verleiht den Texten mit seiner rauchigen Stimme nachdrücklich ihre Wichtigkeit. Bass und Gitarre spielen punkig, mal metalesk druckvoll nach vorne, die Drums werden dezent als rhythmus-gebender Impuls eingesetzt. Ausnahme bildet der Song „Panama“, in dem sich die Drums in den Vordergrund spielen. Aber auch Keyboards werden eingesetzt, nicht nur als melodische Begleitung, sondern als Intro („Simulation“, „Panama“), dadurch verändern die Songs ihren typischen Punk-Charakter, und Dritte Wahl zeigen, dass 35 Jahre Punk nicht heißt, sich vor Veränderungen zu verschließen. Als Gäste treten unter anderem 100 Kilo Herz („Der Spion“) und Deine Cousine („Urlaub in der Bredouille“) auf.

Aber so aussichtslos wie die dystopischen Gemälde auch gezeichnet worden sind, geben Dritte Wahl letztlich die Hoffnung nicht auf, denn die „Steine im Weg“ sollen uns nicht aufhalten und resignierend am Weiterkommen hindern, sondern uns Neuorientierung und Zukunftsglauben geben. Auch nach 35 Jahren ist es „Keine Zeit für weiße Fahnen“, Aufgeben und Niederknien vor den König:innen der globalen Wirtschaftsmonarchie sind keine Optionen!

Diskografie (Studioalben)

1992: Fasching in Bonn

1994: Auge um Auge 

1996: Nimm Drei

1998: Strahlen

1999: Delikat (11 Jahre Bühnenjubiläum '88-'99)

2001: Halt mich fest

2005: Fortschritt

2010: Gib Acht!

2015: Geblitzdingst

2017: 10

2020: 3D

Fazit

8.3
Wertung

Dritte Wahl haben mit „Urlaub in der Bredouille“ ein weiteres wichtiges Punk-Werk geschaffen. Gerade der Neoliberalismus und Spätkapitalismus mit ihren globalen Auswirkungen müssen schonungslos aufgedeckt werden. Dafür braucht es Bands wie Dritte Wahl, dafür braucht es ihre links-orientierten Texte, die den Hörenden die Augen öffnen, und dafür braucht es klassischen Punkrock, mit dem mensch sich die Wut aus der Seele tanzen kann. All dies liefert die Rostocker Band. Und sie verdeutlicht, dass Punk immer noch das wichtigste Sprachrohr ist, um der Welt den Mittelfinger zu zeigen. Ich bin dabei…

Frank Diedrichs