Reviews

Adam Angst und "TWIST": Die Lösung für alle Probleme

Nach unserem Aprilscherz von 2018 ist der kollektive Musikwunsch der Redaktion endlich wieder einmal Wirklichkeit geworden: Es gibt ein neues Album von Adam Angst. Und die fünf Jahre Wartezeit haben sich dermaßen gelohnt.

Die Band, die früher vor allem die Begleitkapelle von Felix Schönfuss war, dessen alleiniger Feder das gesamte erste Album entsprungen ist, hat endlich noch mehr zueinander gefunden. Merklich wird das vor allem in den verschiedenen Einflüssen, die auf dem Album Platz gefunden haben. Da gibt es mit „Die Lösung für deine Probleme“ eine Klavierballade (Felix hat sich während der Coronapandemie mithilfe von YouTube-Tutorials Klavierspielen beigebracht!!), mit „Unangenehm“ eine Parodie auf die Onkelz & FreiWilds der Deutschrockszene, „Unter meinem Fenster“ lädt mit seiner groovigen Bassline zum Tanzen ein und „Angst“ präsentiert den Songwriting-Einfluss vom Adam Angst Gitarristen/Fjørt-Bassisten und Background-Schreier David Frings in ungewohnter Härte. 

Besonders „Unangenehm“, der Song featuring das Alter Ego „Wutgruppe 0“, fällt komplett aus dem Album heraus. Textlich werden alle möglichen, typisch rechten bis „patriotischen“ Parolen rausgeholt und ihre Inhaltsleere aneinandergereiht, die sich gleichzeitig noch als „Wir sind keine Nazis, aber“, verkaufen lassen. Was eben leider doch viele Bands aus diesem Klangmetier zu ihrem Markenzeichen gemacht haben: Bewusst – durch Sound und/oder Text – am rechten Rand fischen, ohne jemals konkrete Meinungen geteilt zu haben, aber sich eben auch nie abgegrenzt zu haben. Das alles kritisieren Adam Angst im offenkundig vermeintlich stumpfen und schwer aushaltbaren Text von „Unangenehm“, der im Subtext (und spätestens mit der von einer Kinderstimme eingesprochenen Textzeile „Seit 30 Jahren erzählt ihr uns das selbe“ zum Ende) aber wirklich viel klarmacht, auch für Menschen, die vielleicht über kluge Algorithmen mit diesem Song gefüttert werden, ohne die Band dahinter zu kennen. Und dann kommt der Sound und vor allem die Stimme. Felix hat uns im Interview verraten, dass er diese unfassbar anders klingenden Vocals selber gemacht hat, während wir fest davon ausgegangen sind, dass es sich um ein nicht bekanntgegebenes Feature von bspw. Oliver von Betontod (Disclaimer: Betontod sind natürlich nicht grenzrechts!) handelt. Die Zweitkarriere in einer grenzrechten Band wäre Felix – zumindest stimmlich - sicher.

„Der“ Adam Angst Sound, den wir auf den ersten beiden Alben kennengelernt haben, ist durch die verschiedenen miteinander verwobenen Sounds nicht mehr so richtig zu erkennen, lediglich „Mindset“ hat was von „Was der Teufel sagt“, „Angst“ erinnert an „Blase aus Beton“, aber auch wirklich nur assoziativ, die Band hat keineswegs krampfhaft versucht, ihren altbekannten (und geliebten) Klang zu treffen. Die Klangwelten, die Adam Angst auf „Twist“ aufmachen, sind so verschieden, alle für sich aber wieder so gut, und sie funktionieren als untermauernde Stilmittel für die teils altbekannten Textthemen. Da fallen teilweise system- oder gesellschaftskritische Textzeilen zusammen mit Musik, die stark nach guter Laune klingt – vielleicht, weil der Weltschmerz anders als mit Offbeat, als Klavierballade oder – wie in „Mord“ – mit einem sanften, an ARD-Vorabendserienintro erinnernden Klang gar nicht zu ertragen wäre. Über den Klavierklängen von „Die Lösung für deine Probleme“ wird dann durchexerziert, warum die vermeintlich simpelsten Lösungen der AfD gar nicht funktionieren können und dass diese Partei hinter dem Aufblasen, wenn man dann mal die Luft rausgelassen hat, rein gar nichts zu bieten hat. „Mindset“ präsentiert hinter einem Offbeat-Partysound Kalendersprüche der übelsten Sorte, die Möchtegern-Lifecoaches leider zu häufig ernst meinen. Neben den gesellschaftspolitischen Texten gibt es, wie auch schon auf den anderen beiden Alben, auch ein Auskotzen über vermeintliche Kleinigkeiten im Privaten. „Wir sind zusammen“ regt sich beispielsweise über das eine Pärchen, das vermutlich in jedem Freundeskreis existiert und ohneeinander (und eigentlich auch miteinander) nicht funktioniert, auf – und der Song kann nach Presseinfo als Prequel zu „Jaja, ich weiß“ gesehen werden. „Unter meinem Fenster“ spricht dagegen von dem Lärm und der Überforderung der Großstadt, der einen auf der Suche nach Ruhe ins Kleinstädtische treibt, wo man dann aber vor Nachbar:innen, Vertreter:innen und Co trotzdem keine langersehnte Ruhe findet.

Es gibt zwar vielleicht nicht den einen bombastischen Leuchtturm-Song auf „Twist“, wie einst etwa „D.I.N.N.“ oder „Splitter von Granaten“, aber dafür ist das gesamte Album durchweg extrem stark – vielleicht auch ein Zeichen für die Entwicklung der Band, dass das Album diese Leuchtturm-Funktion einzelner starker Songs nicht braucht, um in Erinnerung zu bleiben und als Gesamtkonzept wirklich toll zu sein. Und das, obwohl ein Gesamtkonzept bei den vielen musikalischen Einflüssen eigentlich gar nicht erkennbar ist, aber das Album findet eine gemeinsame Sprache, ohne danach zu suchen und klingt neu, aber immer noch vertraut nach Adam Angst. Einen Kritikpunkt gibt es aber dann doch: „Herz“, „Schmerz“ und „Scherz“ aufeinander zu reimen („Schmerz“), sollte verboten sein. 

Fazit

9.3
Wertung

Adam Angst haben sich der Herausforderung gestellt, qualitativ an ihre beiden bisherigen Meisterwerke ranzukommen und es definitiv wieder geschafft, politische Statements und textlichen Witz mit ausgeklügelter Musik zu verbinden. Gerade in Zeiten wie diesen brauchen wir die Bands, die keine Umschreibungen finden, um möglichst vielen potentiellen Hörenden zu imponieren, sondern die sich klar – auf Platte und auf Konzerten – zu den Themen unserer Zeit äußern. Die Wartezeit auf „Twist“ hat sich gelohnt - Jahreshighlight ist das Album auf jeden Fall schon, was soll da (gut, wir haben Ende November) schon noch kommen?

Jannika Hoberg