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„Aber wie viel ist dein Outfit wert?“ Fast Fashion und die Musikindustrie

Musiker:innen stehen als Sprachrohr ganzer Generationen oft an vorderster Front, wenn es um das Benennen von Ungerechtigkeiten in der Welt geht. Dabei hat sich gerade Feld das Merchandisings selbst bei kleineren Bands noch lange nicht den Prämissen des möglichst billig produzierten Kapitalismus‘ entzogen. Wer trägt die Verantwortung – und ist Besserung in Sicht?
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„Life ist super nice da wo man die Schuhe trägt / Life ist nicht so nice da wo man die Schuhe näht“, rappt Felix Kummer in seinem Song „Wie viel ist dein Outfit wert“, der sich entgegen der gängigen Verhältnisse im Deutschrap gegen die Glorifizierung von Markenmode einsetzt und gleichzeitig auf einen Missstand hinweist, der im Kontext von Bands eigentlich so gut wie nie angesprochen wird. Musiker:innen stehen immer stark im Fokus der Öffentlichkeit. Sie haben viel zu sagen und können sich gleichzeitig sicher sein, dass ihr Verhalten immer besonders genau betrachtet und bewertet wird.

Das scheint zumindest für gewisse Teilbereiche zu gelten: Wer sich zum Beispiel in den Augen der Fans gesellschaftlich oder politisch nicht korrekt verhält, kann sich sicher sein, früher oder später gnadenlos abgeurteilt zu werden. Wer auf irgendeinem Konzert der alternativen Rockszene mit Onkelz- oder Frei.Wild-Shirt herumläuft, der kann sich fast sicher sein, zumindest mal schief angesehen zu werden. Als Sängerin Lingua Ignota vor einigen Monaten in einer schockierenden, mehrseitigen Schilderung darlegte, dass Daughters-Sänger Alexis Marshall sie jahrelang physisch und psychisch missbraucht hatte, war das quasi sofort auch das Todesurteil für Marshalls Band. In Momenten, in denen sich Bands und Künstler:innen auf derartige Weise abstoßend verhalten, entsteht oft die Diskussion, ob man Kunst und den Menschen dahinter trennen darf oder kann, aber der Anstoß der Debatte ist immer schnell zur Stelle. Am Fall der Sängerin Ronja Maltzahn, die gerade von der Hannoveraner Untergruppe der Fridays-For-Future-Bewegung für das Tragen von Dreadlocks abgestraft wurde, lässt sich sehen, welche besondere Verantwortung Menschen auf der Bühne haben und welch harter Kritik sie sich sehr schnell stellen müssen.

Interessant ist, dass diese Kritiken oft scheinbar dann nie wirklich greifen, wenn es um die Verachtung humanitären Umgangs im Zuge wirtschaftlicher Interessen geht. Denn wurden Daughters abseits der Vergewaltigungs-Vorwürfe eigentlich jemals dafür kritisiert, dass sie ihr Merch seit Jahren auf den billigsten Gildan-Rohlingen verkaufen? Gildan ist eine Firma, die mit enorm intransparenten Angaben zu ihren Herstellungsbedingungen für Zweifel sorgt und die etwa 2013 in einen Skandal verwickelt war, in dem Arbeiter:innen in Haiti von den Fabriken ihr gesetzlich vorgeschriebenes Gehalt gestohlen wurde. Gildan ist einer der größten Rohling-Lieferanten der Musikbranche und selbst der eingangs erwähnte Kummer hat – trotz seines kritischen Songs – Merch auf Gildan-Shirts gedruckt. Zumindest in diesem Fall scheint die Doppelmoral langsam Wirkung gezeigt zu haben, die meisten der Kummer-Merchartikel sind mittlerweile mit dem Vermerk „Fair Wear“ gelistet – wenngleich nirgends transparent hervorgeht, unter welchen Bedingungen genau die Teile hergestellt werden und ob es für die Sicherung fairer Arbeitsbedingungen auch tatsächlich etwaige unabhängige Siegel gibt, die die faire Herstellung bescheinigen.

Es ist schwer zu sagen, warum eigentlich niemand den Finger auf all die Musiker:innen richtet, die auf der Bühne immer für klassisch linke Werte einstehen, aber bei ihren Fanartikeln offensichtlich beide Augen zudrücken. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass Fast Fashion generell selbst unter links denkenden Menschen immer noch weit verbreitet ist. Das hat auch damit zu tun, dass die Auseinandersetzung mit diesem Thema kaum irgendwo so schwer ist wie in der Modeindustrie. Lieferketten sind unglaublich schwer nachzuvollziehen und zu kontrollieren, selbst für diejenigen, die die Ware verkaufen – da ist es als Endkunde nicht gerade einfacher. Auch dadurch sind die Strukturen von unfairer Kleidung heute in der Gesellschaft immer noch enorm stark und faire Mode wird vor allem auch aufgrund ihres vergleichsweise hohen Preises nur langsam präsenter. In etwa der Rassismuskritik scheint die Gesellschaft da schon deutlich weiter zu sein – vielleicht auch, weil es hierbei trotz aller rassistischen Strukturen im öffentlichen Leben vor allem um eine Sache geht, die man mit seinem eigenen Denken ausmachen muss und die man analysieren kann, ganz im Gegensatz zu den Lieferketten von Bekleidung, die man teilweise selbst mit gutem Willen schlicht nicht mehr angemessen nachvollziehen kann.

Immerhin scheint es mittlerweile ein Bewusstsein dafür zu geben, dass nachhaltige Mode unter den Menschen stärker nachgefragt wird. So ist es auch zu erklären, dass sowohl EMP als auch Impericon in ihrem Shop mittlerweile eine eigene Sektion untergebracht haben, die nachhaltig hergestellten Produkten gewidmet sind. Wenn also die beiden größten Merch-Lieferanten Deutschlands daran arbeiten, ihr Sortiment fairer und nachhaltiger zu gestalten, sind wir dann auf einem guten Weg? Ein näherer Blick gibt nicht gerade Anlass zur Hoffnung. Impericon zum Beispiel listet aktuell (Stand: 28. März 2022) 712 Produkte unter dem Label „Nachhaltig“, das sind bei einem Shop mit etwa 10.000 Bekleidungsartikeln gerade mal rund sieben Prozent. Viel schwerer wiegt aber, dass absolut nicht klar wird, unter welchen Kriterien die Bezeichnung „nachhaltig“ dort eigentlich vergeben wird. Bei manchen Artikeln gibt der Shop den Hersteller des Rohlings an, über den man dann anschließend teilweise tatsächlich nachvollziehen kann, dass es sich hierbei um ein faires Produkt handelt. In den meisten Fällen allerdings fehlt selbst diese Angabe und Impericon gibt lediglich an, dass das Shirt zu hundert Prozent aus Bio-Baumwolle besteht. Außerdem verfügen alle als „nachhaltig“ gelabelten Shirts in ihrer Produktbeschreibung über den wenig sagenden Zusatz: „Dies ist ein biologisches und nachhaltiges Produkt.“ In einem Facebook-Post über die erst kürzlich gestartete Eco-Linie gibt Impericon an, die Produktlinie sei „fair“, „sustainable“ und „organic“. Fraglich ist, warum dann keinerlei unabhängige Siegel oder zumindest irgendeine Art von Erläuterung auf der Website auftaucht, wie dieser Anspruch eingehalten werden soll – das Schlagwort „fair“ fällt im Shop dann sogar gar nicht mehr. Wir haben diesbezüglich bei Impericon nachgefragt, allerdings keine Antwort erhalten.

EMP scheint auf den ersten Blick deutlich klarer transparent zu machen, wie ihre fairen Produkte hergestellt werden. Für das Schlagwort „Nachhaltigkeit“ hat das Unternehmen eine eigene Unterseite eingerichtet, unter der ausführliche Informationen dargestellt werden und unter der sich auch eine große Zahl an Siegeln findet, die genauer spezifizieren sollen, auf welche Weise EMPs Produkte ein Nachhaltigkeitsziel verfolgen. Fraglich ist allerdings, warum all diese Siegel von EMP selbst stammen. Mit Ausnahme des Oekotex-100-Standards – einem Siegel, das sich ausschließlich auf die gesundheitliche Unbedenklichkeit der verwendeten Materialien bezieht – sind alle dort aufgeführten Labels vom Unternehmen selbst gestaltet. Das ist in der Methodik ungefähr auf dem Level der FIFA, die sich durch ihre eigene Ethik-Kommission kontrollieren lässt. So kann EMP seine Produkte mit teils sehr schwammigen Aussagen schönen. Da hilft es auch nichts, dass in der Beschreibung mancher Produkte noch der in der Übersicht fehlende Amfori-BSCI-Standard aufgeführt ist – eine Initiative, die allerdings auf der Selbstverpflichtung der Industrie basiert, sehr lockere Kriterien ansetzt und schon oft dafür kritisiert wurde, seinen Verpflichtungen zur Kontrolle nicht angemessen nachzukommen.

Das EMP-eigene Zertifikat „Nachhaltige Produktion“ zum Beispiel soll laut Unternehmen die „generellen nachhaltigen Produktions-Anforderungen bestätigen“, hierzu zählten die „Einhaltung der Sozialstandards sowie der Arbeitsschutz- und Sicherheitsgesetze in den jeweiligen Produktionsländern“. Wie genau diese Standards allerdings aussehen, in welchen Ländern EMP produziert und ob die dortigen Maßstäbe ausreichend für die Wahrung menschenwürdiger Arbeitsbedingungen sind, geht aus der Beschreibung nicht hervor. Genauso macht EMP keinerlei Angaben darüber, wie konkret sie dafür Sorge tragen, dass diese Standards auch tatsächlich nicht verletzt werden. EMP vergibt außerdem Labels, nach denen ein gewisser Betrag vom Erlös der derartig gekennzeichneten Produkte gespendet wird, die Gelder sollen dabei entweder an Umwelt-, Ozean-, oder soziale Projekte gehen. Weder erklärt das Unternehmen allerdings, wie hoch der Spendenbetrag ist, noch, an wen genau die Gelder eigentlich gehen. Bei den Labels „Made In Germany“ oder „Made In Europe“ stellt sich wiederum die Frage, ob nur der Herstellungsprozess oder auch die Materialien selbst aus den jeweiligen Herkunftsregionen kommen – dies wäre wichtig zu wissen, da unter diesen Labels auch mit „kurze[n] Transportwegen“ geworben wird, für die ja auch ein räumlich naher Ursprung der Ressourcen von entscheidender Bedeutung wäre. Im Shop werden über 3000 Produkte als „nachhaltig“ verkauft, wie oft die einzelnen Labels allerdings jeweils verwendet werden, ist nicht nachvollziehbar. Auch EMP hat uns auf unsere Anfrage keine Rückmeldung gegeben.

Es scheint manchmal so, als hätten die Musikindustrie, die Künstler:innen und auch die Fans ein kollektiv schlechtes Gewissen. Niemand will sich die Blöße geben, unter unfairen Herstellungsbedingungen zu fertigen, niemand will Andere auf offener Bühne kritisieren, wenn er selbst nach einem Konzert fleißig Gildan-Shirts vertickt und niemand will seine Lieblingsband an den Pranger stellen, wenn im eigenen Kleiderschrank selbst stapelweise unfair hergestellte Tour-Hoodies lagern. Deswegen müssten wir zumindest einmal das machen, was wir etwa beim Thema Rassismus schon ziemlich gut können: Missstände ansprechen, uns reiben, in den Austausch treten und gemeinsam dafür sorgen, dass alle Beteiligten in Zukunft verantwortungsvoller handeln und den Weg in eine bessere Zukunft ebnen, der ohne Schein auskommt. Ein informierter Blick – zum Beispiel durch unseren Buyer’s Guide – ist da ein guter Anfang. Aber er ist noch lange nicht des Rätsels Lösung, denn wenn niemand tatsächlich nachhaltige Shirts druckt, dann kann sie auch keiner kaufen.