Als es vor über hundert Jahren noch keine Möglichkeit gab, Musik auf einen Tonträger zu pressen, waren Noten das einzige Mittel, um Klänge für die Nachwelt zu konservieren. Das Beherrschen der Notenschrift spielte für Musiker eine entscheidende Rolle und war oft Grundvoraussetzung für musikalisches Praktizieren. Doch sowohl die fortschreitende Technologie als auch der Einzug der Popmusik hat unser Verhältnis zur Klangschrift maßgeblich verändert. Allerspätestens seit dem Einzug der Punkbands in den 80er-Jahren wurde auch Musik salonfähig, die man auf deutlich intuitivere Art erlernen konnte. Selbst die großen Komponisten unserer Zeit haben teilweise den Bezug zur Notation verloren – Hans Zimmer etwa, der zwar die Musik für einen Hollywood-Blockbuster nach dem anderen fabriziert, aber nie richtig Noten lesen gelernt hat. Diese Neuorientierung des Komponisten-Berufs verleitete etwa Moritz Eggert einmal zu einer wirklich legendären Tirade. Aber ob man diesen Umstand nun gut oder schlecht finden mag, am Ende hat sich schlicht der Zeitgeist geändert.
Ganz verschwunden sind Noten aus unserem Leben aber trotzdem noch lange nicht. Notenschlüssel sind immer noch eines der beliebtesten Tattoo-Motive zur Symbolisierung von Musikliebe und wer einmal die Muße zum Musikunterricht auf sich bringt, kommt um das Erlernen der Notation nicht herum – auch abseits vermeintlich elitärer Musikströmungen. Dass Bands wie The Hirsch Effekt ihre hochkomplexen und vertrackten Songs nicht mal eben im Proberaum hinjammen, dürfte jedem bewusst sein – spätestens dann, wenn die Band manche ihrer Alben auch mit Notenbüchern verkauft. Und abseits von Haus-und-Hof-Komponisten wie Hans Zimmer gibt es natürlich weiterhin eine große Komponisten-Bewegung, deren Methodik des Musikschreibens weiterhin auf der traditionellen Vorgehensweise beruht. Eine der schillerndsten deutschen Figuren war in diesem Zusammenhang etwa Karlheinz Stockhausen, auf dessen Grab eine zentrale Noten-Passage seines Opernzyklus „Licht“ eingemeißelt ist.