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Eine Unterhaltung zweier Kunstformen: Wie Malerei und Musik miteinander sprechen

„Durch Musik oder Kunst kann man einen anderen Zugang zu Menschen finden und manchmal fühle ich mich wie eine Brücke, eine Übersetzerin. Ich finde es cool, dass wir diese Möglichkeit haben.“ - Gloria Ferraro, auch bekannt als Musiklinie, in einem spannenden Interview über ihre ungewöhnliche Arbeit, die Musik und Kunst verbindet.

Wie sehr hat man es als Kind geliebt, die Wände zu bemalen, meist zum Ärgernis der Eltern. Gloria von Musiklinie hat sich das einfach zum Beruf gemacht.

„I DRAW THE MUSIC“ - „ICH MALE DIE MUSIK“ steht auf ihrem Instagram Account „musiklinie“. Die 25-jährige selbstständige Künstlerin und Designerin aus Milano erklärt mir, dass dieser Satz zwar grob beschreibt, was sie tut, aber das hinter der etwas ungewöhnlichen Kunst weitaus mehr steckt. Zwischen Ausdruck, Kommunikation und Intimität erschafft Gloria eine interessante Kunstform, welche die Musik, die wir alle so lieben, auf völlig neue Art erstrahlen lässt.

Mit 19 Jahren kam die Italienerin nach Essen in Nordrhein-Westfalen, um dort Kommunikationsdesign zu studieren. Schon damals beschäftigte sie sich viel mit den verschiedenen Wahrnehmungsformen des Menschen. Dafür nennt sie einen persönlichen Grund: „Als ich nach Deutschland kam, konnte ich die Sprache gar nicht richtig verstehen und gar nicht reden. Diese Erfahrung hat mich sehr geprägt. Also die Sache, dass ich eine andere Art von Kommunikation finden musste, um zu überleben.“ Dabei ging es hauptsächlich darum, durch das Sehen, also mithilfe des Visuellen, Dinge zu verstehen. „Das hat mich sehr sensibel gemacht. Ich glaube, das ist ein bisschen wie ein Geschenk. Ich habe die Möglichkeit gehabt, meine Wahrnehmung zu verfeinern.“ Was am Anfang sehr anstrengend für sie war, hat sie dann ins Positive umgedreht.

Noch vor dem Entstehen von Musiklinie fasziniert die junge Künstlerin das Übersetzen von dem einem Sinn in den anderen. Also zeigt sie Initiative und zeichnet im Rahmen einer Gruppenausstellung im Folkwang Museum Porträts von Menschen nur mit ihrem Tastsinn. Mit geschlossenen Augen fühlt sie die Gesichter der Menschen und setzt diese Bewegungen in abstrakte Porträts derselbigen um. „Eine sehr, sehr intime Begegnung“, beschreibt sie. Diesen Moment von „Anwesend-Sein“ will sie weiter erforschen. Dass die Musik dafür eine perfekte Grundlage bietet, entdeckt sie im September 2017 im Rahmen ihrer Bachelor-Arbeit entdeckt und fängt an, mit Musik zu arbeiten.

Die Transkription von etwas Auditivem in etwas Visuelles.“

Mit einem selbst entwickelten Computer-Programm begleitet Gloria zunächst die Band Tired Eyes Kingdom in ihrem Proberaum, malt digital mit und projiziert ihre Kunst auch auf die Musiker selbst. Doch das war nur die erste Zusammenarbeit in einer Reihe von verschiedensten Musikern. Neben Experimenten mit der neu gefundenen Möglichkeit, Musik und Kunst zu verbinden, wie zum Beispiel ans Nachbarhaus mithilfe eines Beamers zu malen oder in Theatern, auf Partys und Konzerten mit einem Skizzenblock zu sitzen und für sich zu zeichnen, hat sie auch mit vielen Bands kollaboriert. Dazu aber später mehr.

Am 11.03.2018 wird „Musiklinie“ dann offiziell ins Leben gerufen: bei der ersten Performance-Improvisation in Gelsenkirchen. Ab diesem Punkt findet Glorias interessantes Projekt immer mehr Beachtung. Sie wirkt meist zufällig und spontan bei unterschiedlichen Projekten und Veranstaltungen mit. Zum Beispiel hilft sie bei der Bemalung eines Hauses in Gelsenkirchen auf der Bochumerstraße 69 im Rahmen einer Stadterneuerung, um die eher „schlechten“ Viertel der Stadt aufzuhübschen, wirkt in Bochum bei einem kollektiven Künstleratelier mit, performt auf verschiedenen Festivals, hat verschiedene Improvisationen im Kunstverein Duisburg, gestaltet ihren eigenen Kalender und designt sogar ihre eigene Modekollektion. Diese ist zu 100% von Gloria selbst entworfen, handbemalt und besteht ausnahmslos aus Second-Hand Kleidung. Auf die Idee kam sie eigentlich für sich selbst: „Also ganz demütig: Ich finde meine Zeichnungen schön und wollte sie tragen“. Darauf folgte kurzerhand die Bemalung von einer Second-Hand-Jacke. Damit erregte sie schnell Aufmerksamkeit. So entstand bald ihre eigene Kollektion. Auf Nachfrage habe ich auch erfahren, dass die Möglichkeit besteht, sich eigene weiße Kleidungsstücke von ihr nach persönlichem Musikwunsch bemalen zu lassen. Auch eine gute Möglichkeit, um Flecken zu überdecken. So findet ihre Kunst auch einen Eingang in unseren täglichen Alltag und hat einen Nutzen, abgesehen von dem Selbstwert der Kunst.

Ihr derzeitiges Projekt ist eine Workshop-Reihe mit Kindern im Alter von 7 bis 10 Jahren im Auftrag der Dortmunder Philharmoniker. Dabei geht es darum, „den Kindern einen Zugang zu klassischer Musik zu geben, durch die Kunst.“ Viele der Kinder sind Ausländer, die auch nicht so gut Deutsch sprechen. „Das ist aber nicht schlimm, denn malen und Musik hören können alle, unabhängig von der Sprache. Es ist schön, dass diese Kinder verstehen können, dass ihr Wert nicht darin liegt, aus welchem Land sie kommen oder welche Sprache sie sprechen und dass man auch anders kommunizieren kann“, erläutert die 25-jährige. Leider muss das Projekt aus bekannten Gründen gerade pausieren, aber eigentlich sollen die Ergebnisse im Rahmen des "Beethoven-Festivals für Kids und Teens" im Juni vorgestellt werden.

Ein Beispiel für eine Zusammenarbeit mit einer Band sind die Betrayers of Babylon aus Neuss. „Marvin, den Drummer, kenne ich aus der Uni“, erzählt sie. Mit der Band hat sie ein gemeinsames Musikvideo veröffentlicht. Das Konzept entwickelten die Jungs mit ihr zusammen und das Ergebnis kann sich sehen lassen:

Mit Morgan Jass, einer anderen Band von Marvin war sie mit auf Tour. Dabei kam die Frage auf: „Warum müssen die Mitglieder von einer Band alle Musiker sein? Warum können nicht auch Künstler mit auf der Bühne stehen?“ Mit Staffelei und Leinwand gehörte sie mit zu der Improvisation der Band. Die Musik, die daraus wurde, hätte ohne sie nicht so entstehen können, da jeder aufeinander achtet und sowohl Inputs von den Musikern als auch von der Künstlerin kommen.

 

Gloria sagt über die Arbeit mit der Band, welche ihr generell sehr viel Freude bereitet hat: „Ich habe entdeckt, dass Musiker improvisieren. Das wusste ich nicht, mir war das nie so klar. Wir haben sehr viel gemeinsam improvisiert in beide Richtungen. Zum ersten Mal wurde es auch möglich, dass nicht nur ein Monolog herrscht, sondern ein Dialog.“ Sie malt also nicht nur 'stumpf' mit, während Musik gespielt wird, sondern nimmt aktiv an der Entstehung der Musik Teil.

Damit spricht sie einen Punkt an, der ihr sehr wichtig ist: Kommunikation. Sie zeichnet nicht nur die Musik selbst, sondern viel eher das Erlebnis des Künstlers mit dem Musiker. Es geht um die Erfahrung, die durch die Musik entstanden ist. Musik ist die Sprache des Musikers und Kunst die Sprache des Künstlers. An sich gehören diese beiden Kunstformen nicht zusammen, aber sie können miteinander reden. Gerade bei Improvisationen, die Jam-Sessions ähneln, kann man dem anderen etwas mitteilen, Signale senden, und das nur durch einen Pinselstrich oder eine bestimmte Tonreihenfolge. Das läuft dann in etwa so ab: „Ich führe manchmal und manchmal führt der, der spielt. Manchmal gibt es auch ein Thema, wie zum Beispiel... [überlegt] Paris.“

Weiter führt sie aus: „Das Reden kannst du dir wirklich so vorstellen, zum Beispiel: Ich male ein Motiv und der Musiker findet das richtig geil und dann spielt der immer wieder das gleiche musikalische Motiv, damit er mich zwingt wieder die gleiche grafische Form zu malen. Und dann höre ich das und ich muss lachen. Wirklich, in Videos kann man das sehen, dann denk ich 'Boah, was ein Spaßkeks' und dann zeichne ich weiter“, erläutert Gloria diese Unterhaltung der Musik mit der Kunst in ihrem sympathischen italienischen Akzent. „Oder er spielt etwas und ich habe keine Lust das zu malen und dann laufe ich 50 Zentimeter weiter nach rechts und zeichne das nicht und gebe ihm Signale, dass man kommunizieren kann. Unabhängig von der Kultur, unabhängig, welche Sprache du sprichst. Unabhängig, ob man sich kennt. Das Zeichnen ist wie ein Echo von der Erfahrung. Nicht das Hauptding.“

Doch wie ist es, im Speziellen Musik zu malen? Was machen verschiedene Instrumente oder Genres mit einem?

Dazu sagt die junge Künstlerin, dass sie eigentlich zu allem gerne malt: Sie hat sowohl schon nur zu Schlagzeug-Improvisationen gemalt, als auch zu Techno. Zwischen Klassik, Jazz, Rock, psychedelischer Musik und vielem mehr probiert sie sich jedes Mal aufs Neue aus. Dabei hat sie gemerkt, dass sie ebenfalls verschiedene „Instrumente“ nutzt: Bei elektronischer Musik eignet sich ein einfacher Stift, da diese sehr schnell ist. Bei Blasinstrumenten passt wiederum ein Pinsel hervorragend, da ja auch die Instrumente mal Pausen machen, um zu „atmen“, wie auch ihr Pinsel ab und an neue Farbe tanken muss. Sie bemalt auch gerne alle möglichen Oberflächen von Säulen (ihr persönlicher Favorit), über Kleidung, Schuhe, Tassen, Wände und sogar Haut.

Sie beschreibt die Musik als eine Art „Vibration“, die durch ihren Körper geht, um dann aus ihren Händen heraus visualisiert zu werden. Durch ihre Kunst hat sie auch eine neue Einstellung zum Tanzen entwickelt: Durch das Fühlen der Musik und der Freiheit des Bewegens kann sie ihre Kunst umso besser umsetzen. „Tänzer an sich machen genau, was ich auch mache. Sie übersetzen etwas was man hört, in etwas, was man spüren kann. Wie ich in etwas, was man sehen kann. Oft wird mir auch gesagt, meine Zeichnungen sehen aus wie Choreografien. Wie so kleine Füße, die sich bewegen.“ Ein passendes Statement von ihr: „Abstrakte Kunst kommt immer ganz direkt aus der Realität.“

In Duisburg, Bochum, Gelsenkirchen und „hoffentlich auch bald in Essen“ gibt es von ihr bemalte Wände und natürlich im Internet auf www.gloriaferraro.com oder auf Instagram (@musiklinie). Wer selber Musiker ist und gerne mal mit ihr improvisieren würden, kann sich immer bei ihr melden. Sie freut sich über jede Zusammenarbeit dieser gar nicht so weit voneinander entfernten, aber doch nicht allzu oft in dieser Weise miteinander verbundenen Kunstformen.

„Weil es für mich so wichtig ist, diese Erfahrung und dieser Moment vom 'Da-Sein'. Das ist so schön, wenn man das schafft, das gibt so eine Freude. Es ist einzigartig. Es schafft eine Verbindung mit dem Menschen, also eine intime Verbindung zu dem Musiker, mit dem man improvisiert, die man sonst nicht hat, im normalen Leben, was immer so schnell ist“, schwärmt sie.

Unsere Corona-Hobby-Empfehlung: schnappt euch etwas zum Malen, wenn ihr das nächste Mal Musik hört und lasst euch einfach mal leiten. Wer weiß, was aus dieser Kunstform noch wird.