Wenn Arten über Generationen hinweg auf Inseln isoliert werden, kann das dazu führen, dass die Individuen dieser Art wahlweise extrem an Körpergröße zu- oder abnehmen. In der Biologie spricht man vom Inselgigantismus beziehungsweise der Inselverzwergung. So gab es auf Sizilien beispielsweise Zwergelefanten mit einer Schulterhöhe von gerade mal 90 Zentimetern. Die Isolation von ihrer Außenwelt befreit die Arten gewissermaßen vom evolutionären Zwang des Festlandes, wodurch ihre Entwicklung einen anderen Weg einschlug als die ihrer Artgenossen. Ein ähnliches Beispiel für die Auswirkungen geographischer Isolation ist das kleine südafrikanische Land Lesotho. Lesotho ist vollständig von Südafrika eingeschlossen, ohne Verbindung zum Meer oder Grenzen zu anderen Nachbarstaaten. Damit ist das kleine Land eines von dreien seiner Art, nur San Marino und der Vatikan sind ebenfalls in einem einzigen Land eingeschlossen. Lesotho hat seit Jahrzehnten mit dem Einfluss Chinas und der wirtschaftlichen Gier der Konzerne zu kämpfen. Zwangsumsiedlungen sind keine Seltenheit, einheimische Geschäfte haben Probleme zu überleben. Aus dieser misslichen Lage, die zu einem Teil auch der geographischen Isolation des Landes zuzuschreiben ist, hat sich in Lesotho eine florierende Kinokultur entwickelt. Filmvorführungen haben dort Eventcharakter, ähnlich wie hierzulande das Public Viewing bei sportlichen Großveranstaltungen. Und auch die Filme selbst, die aus Lesotho stammen, sind anders als alles, was hierzulande den Sprung auf die Leinwand schafft. Trotz oder gerade wegen seiner abgekapselten Lage entwickelte Lesotho eine ganz eigene, einzigartige Kulturform.
Warum dieses ganze Vorkeplänkel? Nun, die Lage Westberlins in der DDR war der der Inselarten und Lesothos nicht unähnlich. Westberlin war ja gewissermaßen eine politische Insel im roten Meer des Sozialismus. Auch hier konnten Künstler*innen fern vom Einfluss westlicher Kulturkolleg*innen Inspiration finden. West-Berlin wird von der BRD nach dem zweiten Weltkrieg zwar offiziell als Bundesland bezeichnet, allerdings gelten hier einige besondere Regelungen, die die eingemauerte Stadt zu einem Mekka für junge Alternative und Kulturschaffende machte. Zum einen wurde der Berliner Senat stark bezuschusst, weshalb sich die Stadt relativ niedrige Mieten und ein breit gefächertes Kulturangebot erlauben konnte, das in jeder anderen Großstadt der BRD dem wirtschaftlichen Fortschritt hätte weichen müssen. Viele junge Leute, die nach West-Berlin kamen, flohen ebenfalls vor dem Wehrdienst, denn den gibt’s dort schlicht nicht. Da die BRD West-Berlin zur entmilitarisierten Zone erklärte, gab es dort keine Bundeswehr und somit auch keine Wehrpflicht. Aus diesem Nährboden entwickelte sich eine Stadt der Freidenker*innen und schrägen Vögel, die ihre Anziehungskraft auf ganz Westdeutschland und bis nach Europa und über den Atlantik ausstrahlte.