Kolumne

Retroreview: Heisskalt, “Idylle” und der Weg ins Paradies

2018 erscheint “Idylle” von Heisskalt und reiht sich als dritter Langspieler in die Diskographie der Band ein. Eines dieser Alben ist nicht wie die anderen; eines dieser Alben ist anders, eines ist besser. Zumindest für mich.

Die Band Heisskalt ist maßgeblich an der Entwicklung meines Musikgeschmacks beteiligt. Als ich 2016 das erste Mal Songs wie "Nicht anders gewollt”, “Nacht ein” oder “Alles Gut” gehört habe, war das für mein junges Punk-/Metalcore-Ich eine Offenbarung. Heisskalt wurden für mich das musikalische Sprungbrett zu härterer (Fjørt), englischerer (Blackout Problems) und generell einfach besserer Musik als die, die ich bis dato gehört hatte und teilweise noch höre. Ich hatte sogar mal eine Sendung beim Uniradio, die ich in Anlehnung an die Band “Vom Hören und Sagen” genannt habe. Die ersten beiden Heisskalt-Alben schaffen diese elegante Gratwanderung zwischen eingängig und komplex, großen Gesten ohne Kitsch und echter Emotion ohne Plattitüden. Heisskalt waren formativ für eine ganze Szene deutschsprachiger Post-Hardcore-Musik. Und dann kam “Idylle”, das dritte, letzte und beste Album des dann-nur-noch Trios.

“Idylle” macht alles anders, Post-Punk-Knurrigkeit, frostige Monotonie und DIY treffen auf Sätze aus der Feder von Mathias Bloech, die zwar klingen, als ob man sie (im Gegensatz zur bisherigen Heisskalt-Lyrik) auch in echten Gesprächen sagen und hören könnte, die aber keineswegs der Kraft, die den Texten seit “Vom Stehen und Fallen” innewohnt, entbehren. Der größte Streich dieses Albums ist es aber, dass die Band sich auf dem Zenit ihres Erfolges und dem Scheitelpunkt der deutschen Post-Hardcorewelle befand, und dann entschieden hat, jetzt was ganz anderes zu machen. Lo-Fi statt sphärisch, direkt statt verklärt, Post-Punk statt -Hardcore. Und sie weisen damit zum zweiten Mal dem Underground den Weg. Zwar ist Post-Punk zum Zeitpunkt des Erscheinens von “Idylle” längst ein vitales Genre in der deutschen Gitarrenmusik, aber Heisskalts Iteration ist anders, schroffer, körniger und mit weniger Grandeur inszeniert, als es zum Beispiel der Post-Punk der Nerven oder von Drangsal ist. Und mit Heisskalts post-wendender (Pun intended) Abkehr weg vom Hardcore und hin zum Punk folgte auch das Interesse anderer Künstler:innen aus dem Umfeld der Band. Kein Jahr nach “Idylle” erscheint “Regen” von Van Holzen, im selben Jahr “Zerfall” von Kind Kaputt. Beide Alben zeigen unverkennbare Post-Punk-Einschläge. Ein Zufall ist das kaum, hat doch an “Regen” Heisskalt-Gitarrist Phil als Produzent mitgewirkt.

Währenddessen sieht es im Rückspiegel eher mau aus, was den musikalischen Output angeht. 8kids schaffen mit “Blūten” ein halbgares Followup zu ihrem durchaus vielversprechenden Debüt “Denen, die wir waren”. Andere Post-Hardcore-Bands wie Marathonmann oder Engst stagnieren nicht erst seit 2018 auf dem immer gleichen Sound. Einzig Fjørt bleiben der unbewegbare Fels der Genialität, der sie seit “Demontage” sind. Frische Impulse kamen im letzten Jahr in Form von Sperlings großartigem “Zweifel”, aber Heisskalt scheinen schon drei Jahre zuvor erkannt zu haben, dass es der Post-Hardcore-Landschaft an zündenden Ideen fehlt.

Fast noch schöner zu sehen als die kreative Initialzündung, die “Idylle” ausgelöst hat, ist der augenscheinliche Befreiungsschlag, den das Album für die Band bedeutete. Heisskalt trennen sich von einem Bandmitglied, ihrem Label und den restriktiven Releasepolicies des Streamingzeitalters. Irgendwann heißt es einfach: "Wir haben einen neuen Song gemacht, achja übrigens, das neue Album gibt’s morgen überall kostenlos zum Download.” Nix da acht Vorabsingles und “bitte pre-saved das auf Spotify”, keine Promo, keine Deluxe-Bundles, keine Ficks gegeben. Heisskalt wollten Musik machen, also machten sie Musik. Diese DIY-Einstellung blutet “Idylle” mit jedem kratzigen Ton. Matze, Phil und Marius spielen auf diesem Album intuitiv, frei und ehrlich zusammen. Klar, die frickeligen Reverb-Delay-Wände eines “Vom Wissen und Wollen” bedürfen minutiöser Planung, aber es sind eben diese nicht zerdachten, spontan klingenden Songs, die mich “Idylle” so lieben lassen. Ich kann mehr mit dem Mathias Bloech connecten, der sich über sture Gemüseverkäufer:innen aufregt, als mit dem, der mir das erdrückende Gefühl des Apnoetauchens musikalisch erlebbar macht. All das macht “Idylle” vielleicht nicht zum besten Heisskaltalbum, aber zu meinem Lieblings-Heisskalt-Album.