5 Jahre, 50 Platten: Die denkwürdigsten Alben der Woche (Teil 1)

Wir feiern Jubiläum und blicken dabei auf eine Chronologie großer Platten zurück, die Album der Woche in 5 Jahren geprägt haben. Im ersten Teil schauen wir auf das Gründungsjahr 2016 sowie die Anfänge von 2017 und entdecken dabei hochemotionale Post-Hardcore-Projekte, das markante Debütwerk einer damals enorm jungen Band sowie eine Platte, deren Opener noch immer für kehlig-trunkene Duette auf jedem AdW-Treffen sorgt.
  • Turbostaat - "Abalonia"

    "Abalonia" ist ein unheimlich immersives Erlebnis. Es ist eine dieser Scheiben, die zwingend komplett ohne eine andere Ablenkung gehört werden muss. Erst dann entfalten die Geschichten und Klänge ihre ganze Wirkung, regen zum Nachdenken an. Die für mich beste Platte von Turbostaat entfacht auch Jahre nach ihrer Veröffentlichung immer noch eine ganz besondere Sogwirkung.

    - Lucio Waßill

  • The Tips - "Twists'n'Turns"

    Die Düsseldorfer Band The Tips hat 2016 mit "Twist'n'Turns" mit ihrem unverwechselbaren Stil aus Ska, Punk, Rock und Soul ein herausragendes Album hervorgebracht, welches definitiv seinen Platz in unseren denkwürdigsten Alben der Woche verdient hat. Musikalisch auf hohem Niveau und textlich an damals aktuellen Themen orientiert - die allerdings auch heute noch (leider) zutreffend sind. So wirken die Zeilen von "The Chosen Fool" in der Zeit von Corona-Leugnern wie auf ebendiese zugeschnitten. Und angesichts der Flüchtlingsthematik, die dieses Jahr mit Moria noch einmal eine erschreckende Wendung bekommen hat, ist auch "Leaving Home" mehr als zeitgemäß in 2020. So haben die Jungs in 2016 ein Album für die Zukunft geschaffen, welches nie aufhört zu begeistern. Energiegeladen, tanzbar, ehrlich und gleichzeitig auch in einigen Songs nostalgisch, ruhig und entspannt. Das Album hat eigentlich alles, was ein gutes Album braucht - also kramt die CD raus oder hört es euch auf Spotify oder Youtube an. Auch wenn sich die Band 2019 zur großen Trauer der Fans aufgelöst hat, gab es dieses Jahr Andeutungen, dass man sich bald auf neue Musik der Urbesetzung Janosch und Ali freuen kann. Wir bleiben gespannt!

    - Meret Stursberg

  • Rogers "Nichts zu verlieren"

    "Nichts zu verlieren" von den Rogers ist rückblickend betrachtet wohl eines der richtungsweisenden Alben der Düsseldorfer Punkband. Nach dem Debüt "Flucht nach Vorn"welches noch ohne konkretes Konzept daherkam, fühlte sich die zweite Platte in sich geschlossener an und lieferte diverse Hits, die es bis heute noch in die Livesets der Band schaffen. Obwohl schon 2015 erschienen, widmeten wir diesem Album nachträglich im Rahmen der Frühjahrstour 2016 einen AdW-Platz.

    - Lucio Waßill

  • Pup - "The Dream Is Over"

    "PUPs Musik ist wie ein Tornado: Erst schlägt sie blitzartig ein, wirbelt alles auf – und am Ende ist nichts mehr, wie es einmal war", schrieb Jakob in der Original-Rezension 2016 über "The Dream Is Over" und er hat damit verdammt nochmal Recht! Dass dieses geniale Album hier einen Platz hat, ist kein Wunder, da "If This Tour Does'nt Kill You" gerne aus voller Kehle bei unseren AdW-Treffen von manchen Mitgliedern der Redaktion gesungen wird. Harte und doch eingängige Gitarrenriffs in Verbindung mit der unverkennbaren Stimme des Sängers liefern ein Album mit Power und es gibt eigentlich nichts zu bemängeln!

    - Meret Stursberg

  • Heisskalt - "Vom Wissen und Wollen"

    "Vom Wissen und vom Wollen, der Tatbestandsverwirklichung". Verdammtes Corona! Wäre es nicht gewesen, wären Heisskalt mit dem langersehnten Comeback auf den Bühnen Deutschlands aufgetreten. Doch bleibt der Trost ihrer Werke, das zweite Album ist ein mehr als würdiger Nachfolger der Platte "Vom Stehen und Fallen". Großartige Tracks wie "Euphoria", "Trauriger Macht" oder "Tanz Tanz" überzeugen nach wie vor durch ihre rohe, treibende Energie. Komposition wie besungene Themen waren und sind für viele eine Art Halt in ihrem Alltag, wenn es emotional mal nicht so läuft. Auch wenn die Platte schon vier Jahre alt ist, kickt sie dennoch so wie beim ersten Anhören. Zum nachdenken, weinen, tanzen und komplettem Ausrasten vor der Bühne ist dieses Album mehr als toll! Wenn man sich eines wünschen darf für 2021, dann ist es, dass Heisskalt wieder auf Tour gehen und hoffentlich auch Songs dieser Platte spielen. 

    - Jan-Severin Irsch

  • Trade Wind - "You Make Everything Disappear"

    2016 zählte Touché Amorés "Stage Four" (siehe weiter unten) völlig zurecht zu den größten Trauer-Alben des Jahres, das augenscheinlich generell gut für Platten über Schmerz, Verlust und Tod war - siehe etwa auch Nick Caves "Skeleton Tree". Vergleichsweise wenig Beachtung bekam dabei leider Trade Winds überragendes Debütalbum "You Make Everything Disappear", das das ergreifende Thema Beziehungsende so tiefgreifend vertont wie kaum eine andere Platte. Das Nebenprojekt von Stick-To-Your-Guns-Frontmann Jesse Barnett setzt erstaunlich selten auf Aggressivität, sondern widmet sich in einer ausgiebigen Studie der menschlichen Fragilität und erkundet dabei alle Phasen menschlicher Trauer - Melancholie in "Radio Songs", Ausweglosigkeit in "Rare", unendliches Vermissen in "Tatiana (I Miss You So Much)". Den letzten Stich versetzt dann der Closer, der nach sieben Songs voller Trauer und Verzweiflung trotzdem musikalisch fast schon süßlich mit "Je t'aimerais toujours" resümiert - ich werde dich immer lieben. Das sitzt tief.

    - Jakob Uhlig

  • Swain - "The Long Dark Blue"

    Auf "The Long Dark Blue" befinden sich die niederländischen Hardcore-Punks Swain vielleicht auf dem Höhepunkt ihres Schaffens. Das hat auch mit dem Wandel zu tun, den die Band mit dem neuen Sound dieser Platte und dem Ablegen ihres alten Namens "This Routine Is Hell" vollzieht. Statt die ohnehin schon grandiosen Hardcore-Hymnen von einem Genre-Referenz-Album wie "Howl" noch weiterzutreiben, werfen Swain hier eine große Portion Grunge ins Getümmel und kreieren so ein Werk zwischen melancholischer Destruktion und ausladender Aggression. Die Ballade "Never Clean My Room" steht so in bester Nirvana-Tradition, ohne nach peinlicher Kopie zu klingen. "Hold My Head" wiederum kann die alten Hardcore-Wurzeln in nur eineinhalb Minuten mit wahnsinnig viel Songwriting-Geschick füttern - und "Kiss Me Hard" kann man durchaus legitim zu einer der größten Alternative-Hymne des vergangenen Jahrzehnts küren. Große Musik einer immer noch viel zu unbekannten Band.

    - Jakob Uhlig

  • Touché Amoré - "Stage Four"

    Eine Platte mit unglaublich viel Gefühl. "Stage Four" ist ein Post-Hardcore-Album, welches viel Trauer in sich trägt. Beim Hören fühlt man den Verlust des Sängers, über den er seinen Schmerz herausschreit, bis tief ins Mark. Die musikalische Verarbeitung dieser tiefen Emotionen ist Touché Amoré hier so gut gelungen, dass man nicht weiß, ob man traurig sein soll, weil der Grund dafür so schrecklich ist oder ob man sich an der überragenden Platte erfreuen kann, weil sie eben so gut ist.

    - Meret Stursberg

  • Van Holzen - "Anomalie"

    “Spürst du diesen Druck? Ich brech dir das Gesicht.” Das Florian Kiesling, Sänger und Gitarrist von Van Holzen diese Worte wahrscheinlich kurz nach der Abiturprüfung zu Papier brachte, zeugt von der Reife und dem Selbstbewusstsein, die die junge Band bereits mit ihrem Debüt-Album bewies. “Anomalie” wiegt schwer wie ein Amboss auf der Brust der Hörenden und übt mit knurrenden Bassläufen, tief verzerrten Gitarren und apathischen Lyrics eine dunkle Anziehungskraft aus. Ein Highlight der erschütternden Produktion sind zweifelsohne die kraftvollen Drumbeats, die von Schlagzeuger Daniel Kotitschke mit derart viel Druck eingeprügelt werden, dass sich das Gefühl einstellt, auf dem Amboss würde der Schmied auch gleich noch einen neuen Hammer zurecht schlagen.

    - Kai Weingärtner

  • Eskalation - "360°"

    Eskalation treten dir schneller in den Arsch, als du „Menschenaffe“ sagen kannst! Diese Behauptung unterstreicht die Band mit „360°“. Die Mischung aus Ska, Punkrock und Synthie-, sowie Dubstep-Elementen macht einfach unglaublich Spaß. Dieser Tonus wird mit allerlei kritischen Tönen verbunden, dabei sind Humor und Selbstkritik nicht auf der Strecke geblieben. Die Band hat so begeistert, dass wir liebend gerne die Videopräsentationen des Nachfolgers „Hunger“ übernommen haben.

    - Moritz Zelkowicz