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Tristesse und “Die Sonne ging unter, auch ich hatte vergessen”: In Watte

Tristesse perfektionieren auf ihrem Debütalbum ihre Mischung aus knurrigem Shoegaze und flauschig-melancholischen Indie-Sounds und zementieren damit ihren Status als eine der spannendsten Newcomer Deutschlands.

Auch wenn “Die Sonne ging unter, auch ich hatte vergessen” technisch gesehen das Debütalbum des Berliner Quintetts ist, fühlt es sich ein bisschen so an, als lausche man hier dem neusten Release einer bereits lange etablierten Band. Schließlich wussten Tristesse schon auf ihrer EP “Im schwächsten Licht” sehr genau, wer sie sein wollten und was ihren Sound ausmacht. In dieser Hinsicht bieten die zwölf Songs von “Die Sonne ging unter, auch ich hatte vergessen” wenig Überraschendes. Zwar lehnt sich die Band stellenweise noch ein bisschen mehr aus dem Shoegaze-Fenster, wenn sich zum Beispiel im Opener “Retina” oder im Closer “...und da war es Abend” die Gitarren zu brodelnden Klangwellen auftürmen, insgesamt ist das Album aber eher ein Destillat des bekannten Tristesse-Sounds; was aber wiederum nicht bedeutet, dieser hätte sich abgenutzt oder sei gar festgefahren. Ganz im Gegenteil, das Gemisch aus halligen Drums, flächigen Bässen, gereverbten Gitarren und generell sehr sehr viel Hall, kombiniert mit der unverkennbar beinahe brechenden Stimme von Sänger Jannes-Maximilian Priebel schafft teilweise geradezu astrale Soundlandschaften.

Auch textlich knüpfen Tristesse genau da an, wo sie mit “Im schwächsten Licht” aufgehört haben. Lose formulierte Gedanken von Selbstzweifel, Nostalgie und einer geradezu erdrückenden Melancholie setzen sich wie der letzte Stoß, den man nach all den vorherigen Schlägen nur noch als dumpfes Gefühl der Schwere wahrnimmt, auf die Instrumentierung. Die gesangliche Präsentation dieser Texte taumelt dabei zwischen Lethargie und Euphorie, vollzieht diesen Spagat mitunter innerhalb eines Songs. Zeilen wie “Hier oben ist es still, selbst mein Scheitern wiegt nicht mehr viel” oder “Danke für alles, ihr werdet mir fehlen – mein Gesicht zieren kalte Tränen” treffen auch beim zehnten Mal hören einen Nerv. Für “Die Sonne ging unter, auch ich hatte vergessen” arbeiteten Tristesse wieder mit dem Produzenten Magnus Wichmann zusammen, der bereits bei Künstler:innen wie Blond, Pabst oder den Leoniden seine Finger im Spiel hatte. Diese langjährige Zusammenarbeit, die schon “Im schwächsten Licht” geprägt hat, sorgt auch auf dem Debütalbum für einen von vorne bis hinten sehr durchdachten Sound und eine kongruente Produktion.

Fazit

8
Wertung

Wer Tristesse schon auf “Im schwächsten Licht” mochte, wird sie auf ihrem Debütalbum lieben. Wer Tristesse erst jetzt kennenlernt, hat zwar was verpasst, findet mit “Die Sonne ging unter, auch ich hatte vergessen” aber den perfekten Absprung in das Universum dieser wunderbaren Band.

Kai Weingärtner