Unter dem Radar #30: Tristesse

Musikalische Heimat Berlin, Indie-Einflüsse, sphärisch-verhallte Sounds. Eine solche Beschreibung würde auf Tristesse zwar nicht nicht zutreffen, sie würde aber auch einiges außen vor lassen, das diese Band so spannend und so anders macht.

Heimat: Berlin

Genre: Shoegaze, Indie

Bisher veröffentlicht: “Im Schwächsten Licht”-EP (2021)

Für Fans von: Moaning, Dive, Betterov

Alles begann damit, dass ein designierter Drummer namens Marvin seine Trommeln an den Nagel hing und auszog, nun Gitarrenmusik mit ganz vielen Effekten zu machen. So oder so ähnlich beginnt die Geschichte von Tristesse aus Berlin, erzählt Gitarrist Bene. Der wiederum ist das Bindeglied zu den anderen drei Mitgliedern der Band, die er teils schon seit seiner Kindheit kennt. Bei einem gemeinsamen Sondierungsgespräch in einer Kneipe stellen die fünf fest, dass sie alle so ziemlich auf einer Wellenlänge sind. Eine Band musste her. Die Geburtsstunde von Tristesse.

Dem Namen entsprechend macht die Band nostalgisch-schwermütige Gitarrenmusik die, wie eingangs bereits erwähnt, durch Einsatz zahlreicher Effekte zu einem fast schon außerweltlichen Klangerlebnis geformt wird. Als fester Teil der Berliner Indie-Subkultur um Künstler:innen wie Drangsal oder Betterov sehen sich Tristesse aber nicht ganz. “Wir haben einen Fuß in beiden Szenen”, sagt Bene, “am liebsten würden wir einfach sagen ‘wir sind Shoegaze’, aber da gibt es gar keine richtige Szene hier.”

Auch wenn Shoegaze mit Bands wie Deafhaven oder Slowdive eine der wohl deutlichsten Inspirationen hinter dem Tristesse-Sound ist, können sich die Bandmitglieder einem gewissen Einfluss des Hauptstadt-Sounds nicht erwehren. “Berlin ist ja nicht nur die Hauptstadt Deutschland, sondern auch ein bisschen die Hauptstadt der Musik,” sinniert Sänger Jannes, und reiht sich damit in eine Reihe namhafter Künstler:innen ein, die das auch so sahen. David Bowie wäre zum Beispiel so jemand. Um die musikalische Diversität ihrer Wahlheimat sind Tristesse sehr froh, ergeben sich so schließlich immer wieder neue Einflüsse und Inspirationsquellen.

Diese diversen Einflüsse vereinen Tristesse auf ihrer vier Songs starken Debüt-EP “Im Schwächsten Licht” zu ihrem ganz eigenen Sound. Die EP ist in den zwei Jahren seit Bandgründung durch exzessives Schreiben und Aussortieren entstanden, sodass die Band komfortabel aus einem großen Pool fast fertiger Tracks schöpfen konnte. Über zwei Lockdowns hinweg schrieben die fünf – mal gemeinsam im Proberaum, mal getrennt zuhause – Demos, bis sich das Bild einer EP herauskristallisierte. Diese Dualität zwischen Schreiben in der Gruppe und allein zeigt sich auch in den Songs, erzählt Bene: “‘Rausch’ und ‘Serotonin’ sind zum Großteil im Proberaum entstanden, ‘Kreis’ und ‘Mono’ eher zuhause.”

Dass die EP trotz der unsteten Arbeitsverhältnisse aufgrund der Situation der letzten Jahre einen so ausgeklügelten und organisch zusammenhängenden Sound hat, verdanken Tristesse nicht zuletzt ihrem Produzenten Magnus Wichmann. “Magnus hat sich in der Zeit fast angefühlt wie ein sechstes Bandmitglied,” erinnert sich Bene an die Zeit im Studio zurück. In dieser Zeit wurden auch noch viele Rädchen gedreht und Stellschrauben justiert, um das Klangbild der EP so auszuarbeiten, wie es bei Release ist.

“Im schwächsten Licht” ist in kompletter Eigenregie entstanden. Tristesse haben entweder alles selber gemacht, oder, wie im Fall der Musikvideos, mit befreundeten Künstlern zusammengearbeitet. “Wir hatten das Glück, zwei unglaublich tolle Videographen zu kennen, mit denen wir die Videos zu ‘Kreis’ und ‘Rausch’ gemacht haben,” schwärmt Jannes. Auch in den Videos ist unschwer die Handschrift der Band zu erkennen. Die 4:3-Optik und der oft grobkörnige oder mit Filtern stark verfremdete Look ergänzt den Klang der Songs perfekt. Zu einer Art unfreiwilligem Leitmotiv der visuellen Bandkomponente wurden die im Video zu “Kreis” gezeigten Blumen. Die hat Videograph Paul Tchurz im Nachhinein in das Video geschnitten. Dass sich die Blüten dann in zahlreichen Pressefotos wiederfinden, ist ein No-Brainer, findet Bene: “Ich mein, wer mag denn keine Blumen?”

Auf die Frage, wo die musikalische Reise als nächstes hingeht, reagieren die Bandmitglieder nachdenklich. An erster Stelle stehen in jedem Fall Live-Erfahrungen mit dem EP-Release im Rücken. Drei Shows konnte die Band bisher spielen, allerdings allesamt vor dem Erscheinen von “Im schwächsten Licht”. Auch wenn diese Konzerte alle super liefen, so Jannes, freue er sich schon auf die nächsten Konzerte. “Ich habe mir da oft gedacht, wie schön das wäre, wenn die Leute jetzt schon die Songs im Ohr gehabt hätten.” Ob es nach der EP irgendwann ein Album geben wird, darüber sind sich Tristesse selbst noch nicht so ganz sicher, schließlich stellt auch die Releasepolitik einen wesentlichen Faktor für die Reichweite von Musik dar. “Wir leben halt in einer Singlekultur,” meint Bene. “Eigentlich total verrückt, kein Mensch hört ‘ne EP mit sechs Songs, aber sechs einzelne Tracks hören die Leute.”

Wie auch immer die neuen Songs von Tristesse ihren Weg in die Welt finden, klar ist jedenfalls: “Es war natürlich nicht das Ende!” Und vielleicht sind Tristesse ja der erste Grundstein für ihre ganz eigene, kleine Shoegaze-Subkultur in Deutschland.