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Saint Agnes und "Bloodsuckers": Wertvolles vom Rand der Gesellschaft

Seit ihrem Debüt „Welcome To Silvertown“ durchlebte die britische Band Saint Agnes einen außergewöhnlichen Wandel von einer Bluespunk-Band hin zu einem Kraftwerk aus Metal, Punk und Grunge. Mit „Bloodsuckers“ schufen die vier Musiker:innen ein Album, dass den Außenseiter:innen und den an den Rand gestoßenen Menschen Mut und Kraft zuspricht und sich ihnen im Kampf gegen die Blutsauger unserer Gesellschaft zur Seite stellt.

Im Kanon der katholischen Heiligenverehrung steht die heilige Agnes für Keuschheit und Unberührtheit. Aber so wie die Menschheit ihre Keuschheit und Unschuld schon lange verloren hat, in dem sie gesellschaftlichen, wirtschaftlichen oder physischen Missbrauch praktiziert, so zeigt der Opener „Bloodsuckers“ deutlich, dass Saint Agnes keine Heiligen sind, die allen Menschen Erlösung versprechen. Das Album beginnt mit einem brachialen Tritt in die Fresse der ganzen Blutsauger, die sich herausnehmen, Menschen zu erdrücken, auszustoßen oder zu manipulieren. Die Band erweist sich als Schutzpatronin der Außenseiter:innen, die aus der Mitte der Gesellschaft verstoßen wurden. Der wütende Gesang Kitty A. Austens gibt ihnen eine Stimme.

Die Texte wurden vom ursprünglichen Kern der Band, Kitty A. Austen und Jon James Tufnell geschrieben. Sie zeigen in ehrlichen Worten die ganze gesellschaftliche Frustration, die sich in den vergangenen drei Jahren aufgestaut hat. Songs wie „Bloodsuckers“, „I Mean Nothing To You“ und „Middle Finger” prangern diejenigen an, die Menschen negative beeinflussen. Aber die Band möchte nicht nur Missstände aufzeigen, sondern Songs wie „Outsider“ oder „Follow You“ bieten Sicherheit und vermitteln ein Gefühl, nicht alleine zu sein. Emotionaler Höhepunkt ist die Ballade „This Is Not The End“, in der sich Kitty mit dem Tod ihrer Mutter auseinandersetzt.

Die Erfahrungen der vorpandemischen Liveauftritte zeigten, dass das Publikum bei den Songs durchdrehte, wenn sie punkiger und metal-lastiger gespielt wurden. Diesen Sound transportierten sie während des Lockdowns in die Songs der EP „Vampire“. Das Album „Bloodsuckers“ ist die konsequente Weiterentwicklung. Und so bauen jetzt Songs wie „Follow You“ und „Body Bag”  eine düstere Metal-Atmosphäre auf. „Animal“ und „I Am“ erinnert dann wiederum an den dreckigen Sound des Grunge zu Beginn der 90er Jahre.

Häufi scheint sich Kittys verzerrtes Gitarrenspiel ein Duell mit ihrem Gesang zu liefern, während Jon James Tufnell und Ryan Brown ihre Bässe mit einer wahnwitzigen Intensität bearbeiten und die Songs mit Wucht begleiten. Andrew Head bearbeitet so intensiv sein Schlagzeug, dass mensch der Band anmerkt, dass sie Kitty in ihrer emotionalen Lage nicht alleine lassen wollen. Schließlich sind alle Teil der „Death or Glory“-Gang.

Und in dieser musikalischen und emotionalen Geschlossenheit ist es die Intention der Band, mit ihren Liedern den Besiegten und Zerschlagenen zu zeigen, dass sie wertvoll sind und größer und stärker werden können – eine ehrfürchtige, fast heilige Aufgabe.

Diskografie (Auswahl)
  • EP "The Death Or Glory Gang" (2018)
  • LP "Welcome To Silvertown" (2019)
  • EP "The Family Strange" (2020)
  • EP "Vampire" (2021)

Fazit

8.2
Wertung

Saint Agnes solidarisieren sich mit den Außenseitern unserer Gesellschaft. Ihr im Vergleich zum Debüt weiterentwickelter Sound aus Grunge, Metal und Punk haut den Blutsaugern dieser Welt die gesamte menschliche Ungerechtigkeit brutal um die Ohren. Und so wie der Sound sich nicht im geringsten zurückhält, sind auch auch die Texte direkt, offen, ehrlich und schonungslos. 

Frank Diedrichs