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Husten und "Aus einem nachtlangen Jahr": Poetischer Indie-Rock für Erwachsene

Die Poesie eines Gisbert zu Knyphausen verpackt in tiefer Melancholie. Dies zeichnet das neue Album der Band Husten aus. Drei für sich schon geniale Texter, Produzenten und Musiker erschaffen zehn atmosphärische und düstere Songs, die die Hörenden zwischen Aufgabe und Hingabe hin- und herzerren.

Nach mehreren EPs erschien letztes Jahr mit „Aus allen Nähten“ der erste Longplayer der Indie-Supergroup Husten. Songwriter Gisbert zu Knyphausen, Produzent Moses Schneider (Tocotronic, Beatsteaks) und Musiker und Sänger Tobias Friedrich (Viktoriapark) füllten dieses Album mit Gitarrenrock, Wave und Pop.

Überraschend kommt nun mit „Aus einem nachtlangen Jahr“ bereits das nächste Album. Zwar wurde im frühlingshaften Spanien aufgenommen, aber die Lyrics der Lieder lassen jegliche Wärme und Sonnenschein vermissen, kein positives, südländisches Gefühl bleibt zurück, vielmehr eine Schwere, eine Bürde und eine traurige Ahnung, dass menschliches Handeln und Empfinden schmerzbehaftet ist.

Bereits der Opener „Bis Morgen, dann“ führt vor Augen, dass Menschen eher zum Prokrastinieren neigen, als dass Beziehungsarbeit geleistet wird. Stoisch, monoton beginnt die Gitarre ihren Rhythmus, eintönig schaltet sich ein Ping hinzu, wie ein die Tiefe und das Dunkle auslotendes Echolot. Und als der allerletzte Funken Hoffnung, Probleme doch schon heute anzugehen, stirbt, geraten die Instrumente in ein Tohuwabohu, in ein Chaos, das durch Schreie zerrissen wird. Auch das folgende Stück „Ja und Ja“ zerstört eher Hoffnung, anstatt ein positives Lebensgefühl und einen Blick nach vorn aufzubauen.

Im Song „Ellie“ nehmen sich die drei Musiker ausnahmsweise nicht die zerstörerischen Aspekte des menschlichen Zusammenlebens vor, sondern schildern im klassischen Indierock-Gewand das Abrutschen in die Armut. Der Mensch „Ellie“ verkörpert in diesem sozialkritischen Thema aber durchaus eine positive Attitüde, indem er das nutzen möchte, was ihm letztlich bleibt, nachdem ihm alles genommen wurde - Zeit. Hier klingt die Band im Sound frischer, positiver und die Indie-Gitarren heben die Lyrics und die Stimme des Sängers immer weiter empor. Diese Euphorie wird direkt in den nächsten Song ("Lass mich bitte nicht in Ruh") getragen. Nur um in „Auf der anderen Seite der Angst“ den Hörenden in einen gallertartigen Klangteppich zu wickeln, aus dem sich mensch nicht befreien kann.

"Ich bin das Ausgeplündert-Werden so leid.

Ich plünder' all die Zeit, die mir bleibt"

Im weiteren Verlauf des insgesamt 34 Minuten langen Albums greifen Husten existenzielle Themen auf. Sie zeigen, wie Angst die Liebe lähmt („Auf der anderen Seite der Angst“), wie Menschen ihr kleines Glück im Hinterhof finden („Flamingo Hotel“) oder auch, dass der Glaube an das vernunftbegabte und weltenrettende Wesen Mensch bei allem Widerwillen aufgebeben werden kann („Nüchtern im Club (Nihilistendisco)“).

Ausgerechnet ein tieftrauriges Lied versprüht Zuversicht und verspricht Hoffnung. „Achim, der Träumer“, vom Leben vergessen und vom Alkohol vergiftet, nimmt dem Ich die Angst vorm Sterben, weil Achim durch seinen Tod das Versprechen gibt, bereits im Jenseits zu warten.

Das Album schließt mit der Erkenntnis, es wieder nicht geschafft zu haben, das rettende und erlösende Lied „Für immer und ewig“ geschrieben zu haben. Aber Aufgeben ist keine Option, denn selbst, wenn ein Lied es nicht vermag die Welt zu retten, so braucht sie doch Liebeslieder, egal, ob himmelhochjauchzend oder zu Tode betrübt.

Den Aufnahmeprozess im spanischen Motril unterstützten Marcus Schneider (Gitarre), Ben Lauber (Schlagzeug) und Arne Augustin (Keyboard). Durch die Nähe der Musiker im Studio entstand ein homogener und gitarrenlastiger Indie-Sound, der fast ohne nachträgliche Bearbeitung auskam. Die Snare- und Bassdrums übernehmen die Aufgabe mit ihrem Rhythmus, den Gitarren den Halt zu geben, den sie brauchen, um in diesen andauernden, lyrischen Depressions- und Impressionswellen nicht die Orientierung zu verlieren und den Texten in ihre Abgründe zu folgen.

Das Cover spiegelt die Stimmung des Album wider. Die Skizze einer Frau, traurig, melancholisch und trotz der Farbtupfer bekommt mensch nicht das Gefühl, dass ihm dieses Album etwas durchweg Positives versprechen wird.

Diskografie

- Husten (EP, 2017)

- Zurück um Heißen (EP, 2018)

- Teil 4 und 5 und 6 (EP, 2019)

- Wohin wir drehen (EP, 2020)

- Aus allen Nähten (LP, 2022)

Fazit

7.9
Wertung

Was muss das für ein nachtlanges Jahr gewesen sein, um so viel ausdrucksstarke Poesie zu kreieren? Husten verflechten Schmerz, Trübsal, Aufgabe, aber auch Liebe zu anspruchsvollem Indie-Rock für Erwachsene. Trotz aller Traurigkeit und Niedergeschlagenheit wird in der Gesamtheit der Texte deutlich, dass gerade die Liebe der nie verglimmende Hoffnungsschimmer ist, der die Menschen am Leben hält. Ein Album für einen schweren Rotwein, dunkle Schokolade und Kerzenschein.

Frank Diedrichs