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HEALTH und “RAT WARS”: Gott ist kein DJ

Passend zur besinnlichsten Zeit des Jahres releasen HEALTH, eine der wohl unbesinnlichsten Bands überhaupt, ein neues Album. “RAT WARS” ist nicht das Weihnachtsalbum, das wir verdienen, aber das Weihnachtsalbum, das wir brauchen.

HEALTH haben mit Toursupports für Nine Inch Nails und dem Soundtrack für das enorm populäre Rockstar-Videospiel “Max Payne 3” ihren Status als Lieblingsband eurer Lieblingsbands zementiert. Auf Album Nummer zehn ziehen die drei Kalifornier ihren nervenaufreibenden Mix aus Industrial Metal und noisigen Elektro-Passagen weiter konsequent durch. Und genau das ist Fluch wie Segen von “RAT WARS”. Es beginnt alles so großartig. Mit dem Intro des ersten Songs “DEMIGODS” baut die Band eine düstere Klangwelt auf, die durch die fast schon apathisch skandierten Lyrics von Jake Duzsik so richtig schön unheimlich ist. Dazu kommen dann glitchy Elektro-Effekte, die dem Song eine fast paranormale Stimmung verleihen. Die Atmosphäre spannt sich bis ins unermessliche und hätte durchaus Potential, Atem stocken zu lassen. Und dann kommen die Riffs…

Was sich bis dahin angehört hat wie Techno aus der Unterwelt, wird nun von knatternden Rumpelriffs niedergemäht, die so ähnlich auch auf Rammstein-Songs zu finden sein könnten. Und das ist wirklich schade, denn Assoziationen zum Rammstein-Sound wecken spätestens 2023 in vielen Menschen Aversionen. Aber auch aus rein musikalischer Sicht torpedieren diese Gitarren-Ungetümer oft die so akribisch aufgebaute Fieberstimmung. In Momenten wie dem Song-Paar “HATEFUL” und “(OF ALL ELSE)” klingen HEALTH wie der bösere Bruder von Chino Morenos Nebenprojekt Crosses, und “UNLOVED” oder “ASHAMED” wecken mit behutsam aber markerschütternd über einen wabernden Klangteppich vorgetragenen Vocals Erinnerungen an Experimentalrockheroen Ulver. Und dann kommt wieder sowas wie “SICKO” mit Featuregästen Godflesh. Ein Song, der dann doch eher in die Stampfen, Schreien, Bier trinken Richtung abdriftet. 

Am Ende ist “RAT WARS” ein Album mit wahnsinnig großen Momenten, die leider öfter mal durch (dem Genre ja dann doch auch irgendwie inherente) Stilfragen etwas in ihrer Strahlkraft geschwächt werden. Es ist ein bisschen, als würde der Teufel auflegen, und dann, als er merkt, dass ein paar Leute den Kram doch ganz gut zu finden scheinen, nochmal was ganz anderes in die Playlist schmeißt, nur um die Fans des Höllentechno zu nerven. All diese Ästhetiken machen “RAT WARS” allerdings auch zum perfekten Album, um der Familie an Weihnachten so richtig die Schweißperlen auf die Stirn zu treiben.

Fazit

6.6
Wertung

Industrialmetaller:innen aufgepasst! Wenn ihr euch seit der Debatten um Rammstein gedacht habt “och mann, was soll ich denn jetzt noch hören”, sei euch gesagt: Hört doch einfach HEALTH. Diese Aussage wäre zwar auch vor dem Skandal schon richtig gewesen, aber man braucht ja bekanntlich doch oft einen Anlass zur Änderung. Wenn ihr zusätzlich noch auf Elektrospielereien und unterkühlte Vocals á la Glados abfahrt, dann ist “RAT WARS” genau euer Album. Für alle anderen ist es mindestens eine super Methode, um dem kleinbürgerlichen Weihnachtsfest mal richtig einzuheizen.

Kai Weingärtner