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Gorillaz und “Cracker Island”: Das Zepter geht weiter?

David Albarn schiebt Gorillaz mit “Cracker Island” einen Schritt weiter auf den Weg, ein wahrlich gesichtsloses und komplett kooperatives Projekt zu werden. Ist das schon die Vorbereitung eines Generationswechsels?

Dass ausgerechnet eine Hälfte von Blur, einer der größten Bands der 90er, nach dem so sehr in seiner Zeit und seinem Ort verankerten Genre Britpop ausgerechnet die Gorillaz ins Leben rufen würde, ist schon irgendwie verrückt. Eine Band, die nicht nur komplett ohne Personality-Cult, sondern auch ohne klangliche Einschränkungen auskommt. Auch wenn dieser kreative Spielplatz in der Vergangenheit nicht immer bei allen für Begeisterung gesorgt hatte, konnte man Gorillaz nie vorwerfen, sich einem bestimmten Sound oder einem Trend unterzuordnen. Und auch “Cracker Island” spielt zwar mit einer Menge von dem, was 2023 als der heiße Scheiß gehandelt wird, biedert sich aber nie an und erlangt durch die stilvollen Hommages an verschiedene Einflüsse einen beinahe zeitlosen Charme.

Noodles, 2-D, Murdoc und Russell finden sich auf ihrem mittlerweile achten Album auf einer einsamen Insel wieder, wo sie, wie der Opener und titelgebende Song “Cracker Island” erzählt, eine Art Sekte, den sogenannten Forever Cult, gründen. Dieses Thema des Mystischen und Okkulten zieht sich lose durch das gesamte Album und wird oft umgemünzt auf die Laster einer Gesellschaft, die am liebsten alles konservieren möchte. Geld, Macht, Schönheit, Jugend. Auf “Cracker Island” erhalten die vier fiktiven Bandmitglieder instrumentale und gesangliche Unterstützung von Thundercat, der mit seinen seidigen Vocals und den gewohnt groovigen Basslines den Funk mit auf die Insel bringt. Sein Gastauftritt gibt auch gleich Anlass, um auf eine der größten Stärken des Albums zu sprechen zu kommen: die Feature-Gäste.

Gerade mal vier der insgesamt zehn Tracks kommen ohne Gastbeitrag aus. Dass Albarn mehr und mehr in den produzierenden Hintergrund rückt, passt zu seiner Aussage von vor einigen Jahren, er könnte sich gut vorstellen, die Gorillaz eines Tages in die Hände anderer Künstler:innen zu geben. Ganz reif dafür ist die Zeit sicher noch nicht, der Wille zur kreativen Öffnung trägt aber auf “Cracker Island” bereits Wurzeln. Sämtliche der acht Features sind nicht nur für sich alleine hochkarätig, sie bringen auch über den direkten Gastbeitrag einen eigenen Vibe mit, der die jeweiligen Songs prägt. “Oil” mit Stevie Nicks und “Silent Running” mit Adele Omotayo spielen mit dem Klanggewand der 80er, ohne den Sound dabei aber tot zu reiten, wie es schon so viele andere in den letzten Jahren taten. Bad Bunny darf auf “Tormenta” einen Latin-Banger auspacken, und “New Gold” versprüht genau das Fünkchen psychedelische Verträumtheit, das man von Kevin Parker alias Tame Impala erwartet.

Das ganz große Kunststück der Platte ist dabei aber, dass sich “Cracker Island” trotz seiner diversen Protagonist:innen nicht wie eine Playlist anfühlt, sondern wie ein kohärentes Album. Mit den paar Solo-Songs der Gorillaz schafft es Albarn, die Tracklist zu straffen und die einzelnen Songs miteinander zu verweben. Dabei setzt er trotzdem immer wieder markante Elemente, wie bei der Single “Skinny Ape”, die nach der Hälfte verträumt-trauriger Kontemplation mal eben den heftigsten Elektro-Dance Beat Switch seit Twenty One Pilots’ “Car Radio” auspackt.

Fazit

8
Wertung

“Cracker Island” ist ein optimistischer und hoffnungsvoller Blick in die Zukunft einer Band, die auch 25 Jahre nach ihrer Gründung zeitlos und zugleich modern bleibt. Auch wenn Albarn sich mit seiner Performance und vor Allem der Produktion noch nicht ganz entbehrlich gemacht hat, öffnet dieses Album die Tür einen Spalt breit für die nächste Generation der Gorillaz.

Kai Weingärtner