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Die Große Freiheit 36 – Zwischen Neonlicht und dem Schuss ins eigene Knie

Die Große Freiheit 36, einer der bekanntesten Clubs in Deutschland und Europa. Einst Kulturtempel jedes Genres glänzte die Bühne mit Diversität der Extraklasse. Dann kam die Pandemie und nach kurzer Zeit der Solidarität kam eine andere Seite ans diffuse Neonlicht.

Wir schreiben den 11. März 2020. Unter dem diffusen Licht der neonhellen Gitarre drängen sich eng an eng Menschen in die Große Freiheit 36. In einem der namhaftesten Clubs Hamburgs spielt an diesem Abend der britische Indiekünstler Rex Orange Country, kaum jemand verschwendet auch nur einen Gedanken daran, dass es das vorerst letzte normale Konzert sein wird, dass dieser Club, dieses Land und auch irgendwo vielleicht dieser Planet erlebt. Zwei Tage danach greifen flächendeckende Schließungen, strikte Maßnahmen zur Kontaktbeschränkung und vor allem Unsicherheit um sich. Covid-19 nahm seinen unbarmherzigen Lauf und verwandelte auch die Reeperbahn, die wohl lauteste und bunteste Meile Deutschlands in eine Wüste aus Leere und grauer Einsamkeit. Es folgen Wochen, ja Monate des Wartens, einige Livestream Konzerte, Solidarität und eine steigende Welle der Maßnahmen Kritik, welche Züge annehmen soll, die nicht nur komplett ab von menschlichem Verstand, sondern auch absolut widerwärtig sind. Dass nun zwei Clubs des Hamburger Klubkombinats ausgerechnet dort mitziehen, hatte wohl kaum jemand auf der Bingokarte.

Aber von vorn, die Geschichte der Freiheit in Kurzform. Nachdem das Gebäude mehrere starke Veränderungen in Kulturform und Namen durchlebte und im Zweiten Weltkrieg vollständig zerstört wurde, eröffnete am 19. September 1985 der uns allen bekannte Musikclub. Damals übrigens mit einem Konzert von Rory Gallagher. Kurz danach eröffneten auch der darunter gelegene Kaiserkeller und das darüberliegende Café wieder und in dieser Konstellation steht die Freiheit bis heute. Dabei ist, beziehungsweise war, vor allem das bunte und diverse Line Up an Kultur, welches der Laden abdeckt, das große Einstellungsmerkmal. Egal ob Slime, die Antilopen Gang, Rio Reiser, Peter Maffay oder auch Kylie Minogue. Die Große Freiheit 36 war eine der Anlaufstellen in der Hamburger Konzertszene und das lag nicht nur an der Position mitten auf der Reeperbahn oder dem generell schönen und passenden Ambiente, sondern auch an der Authentizität des Clubs.

Warum die Vergangenheitsform? Nun kommen wir zum unangenehmen Teil des Textes.

Im Sommer 2020 bot der Besitzer der Großen Freiheit und der Docks, namentlich Karl-Hermann Günther, der breiten Bevölkerung an, gegen ein geringes Entgelt Plakate zum Thema Covid, Hilferufe oder Ähnliches an die Wand pflastern zu können. Nun möchte man meinen, dass sich ein Liveclub im Hamburger Kiez stark nach links lehnt, was ja auch das eher linksgerichtete Künstler:innen-Line-Up, welches in der Freiheit hausierte, unterstreicht, und sich gegen jegliche Art von Querdenken stellt, die ihre Nähe zum Rechtsextremismus ja nun schon oft unter Beweis gestellt haben. Nun ist Günther selbst ein starker Kritiker der Corona-Maßnahmen, was natürlich keineswegs falsch ist, Kritik ist hier nicht das Problem, schließlich hat jeder das Recht auf eine freie Meinungsäußerung und auch die generelle Idee, einen Mindpalace voll mit Meinungen zu den Maßnahmen zu bieten, ist keine schlechte Idee, jedoch nahm schnell eine Seite überhand.

Nicht lange nach diesem Aufruf fanden sich Plakate, welche mit fett gedruckten Überschriften wie „Masken können die Gesundheit gefährden“ oder „Fehlalarm“ in den Plakatkästen der Clubs. Also ganz klar Worte und Texte von Leuten, die die Corona Maßnahmen ablehnen, Falschinformationen verbreiten und sogar das komplette Virus oder besser die Gefahr, die davon ausgeht, leugnen. Schon hier fingen verschiedene Veranstalter:innen und Künstler:innen an, die Zusammenarbeit mit Docks und der Großen Freiheit einzustellen, der große Knall kam jedoch, als ein Plakat mit der Aufschrift „Stopp Lockdown: Bewaffnet euch mit Wissen“ auftauchte, dabei war "Bewaffnet euch" bewusst hervorgehoben. Darunter Verweise auf Verschwörungsideologen wie KenFM oder Reitschuster, welche in den letzten Monaten und Jahren nicht nur mit Fake News um sich warfen, sondern unter anderem deswegen sogar verurteilt wurden und neben anderen den harten Kern der Querdenken-Bewegung bilden. Ich blende hier bewusst keine Bilder der Plakate ein, da diese Populisten keinerlei Raum in meinem Text bekommen sollen!

Nun hört Toleranz dort auf, wo Intoleranz Räume bekommt, und dies ist hier der Fall. Während nach harter Kritik das Docks die Plakate entfernte, prangten diese und ähnliche Schriften weiterhin an den Fassaden der Großen Freiheit. Des Weiteren gab es keine Züge der Einsicht, keine Interviews des Besitzers und kaum Worte zu diesem Thema, daher kann man sich nun sicher denken, dass sich die Meinung hinter den Fassaden mit der der Plakatverfasser:innen deckt. Alles, was es an Öffentlichkeitsmaßnahmen zu dieser Aktion gab, war ein Post auf den Social Media Kanälen, in welchen man vor allem darauf erpicht ist, die Meinungsfreiheit zu wahren und dass man die Plakatwände nicht abbauen wird! Und auch wir, eure Kritiker wahren Meinungsfreiheit, allerdings ist es nicht in allen Kreisen in Ordnung, Rechtsextremist:innen, Antisemit:innen und Querdenker:innen eine Plattform zu bieten und dies dann mit Toleranz zu begründen, da hilft es dann auch nicht in fetten Lettern „Selbstverständlich distanzieren wir uns von Rassismus, Nationalismus, Faschismus, Extremismus und Gewalt.“ in eine Instagramgrafik zu schreiben.

Und hier kommt der Teil, an dem ich mich aufrege. Seit 2018 arbeite ich selbst in einer kleinen Konzertlocation. Ich bin dort als Barkeeper, Fotograf, Social Media Mensch und Einlasspersonal zu finden, kontrolliere aber auch bei den bisherigen Öffnungen die Hygienemaßnahmen und die entsprechenden Nachweise am Eingang. Im März 2020 dann der große Knall. Clubs zu, keine Hilfe für Pauschalkräfte, arbeitslos, kaum Verdienst, Existenzängste. All das innerhalb weniger Monate von 120 auf 0 in einem Tag. Und trotzdem achte ich auf alle Maßnahmen, lasse mich Impfen, trage Maske, halte Abstand und warte darauf, bis der Tag X kommt und alles wieder losgeht, ohne die Angst auf erneute Einschränkungen. Und man glaubt es kaum, aber ich bin auch nicht zufrieden mit den Maßnahmen oder eher gesagt grob unzufrieden mit den Hilfen und wie vor allem mit der Kultur umgegangen wird. Keine Öffnungsstrategien, kaum Perspektive, sinnlose Restriktionen und kein Ohr für Menschen aus diesem Business. Ganz nebenbei muss man sich noch von Leuten ankeifen lassen, warum man denn 2G durchführt und das man doch eigentlich für Toleranz steht. Natürlich tue ich das, jedoch kann und möchte ich keine Toleranz für Leute aufbringen, die wissenschaftliche Erkenntnisse leugnen und andere Leute nicht mal mit den simpelsten Dingen schützen wollen! Mir persönlich ist es in Teilen egal, ob ihr eure Maske über der Nase tragt, euch impfen lasst oder sonst was tut. Nun bin ich aber auch dreifach geimpft, kein Risikopatient und werde wohl nur einen milden Verlauf haben, wenn ich den Mist überhaupt bekomme. Es gibt jedoch Menschen, welche sich nicht impfen lassen können, Menschen, die auf wichtige Operation warten, jedoch hinten angestellt werden müssen, weil Covidpatient:innen die Intensivstationen „blockieren“, oder die angehörigen dieser Leute, und denen sollte das nicht so egal sein! Wo es in meinem Fall dann allerdings nicht mehr egal sein kann, ist, wenn ich daran denke, dass ich schon lange wieder normal meinem Alltag nachgehen könnte, wenn es nicht Menschen geben würde, die sich gegen Impfung, Tests und Masken stellen, nur weil sie lieber irgendwelchen so-called Expert:innen auf YouTube oder Telegram, als wirklichen Expert:innen glauben!

Seht diesen Text nun nicht als offenen Brief oder Sonstiges. Es ist lediglich ein Kommentar der Situation und ein Text, der einen Standpunkt aufzeigen soll, ein Standpunkt von jemandem, der aus der gleichen Branche kommt und sich ebenfalls im Stich gelassen fühlt. Ich bin es Leid nach zwei Jahren immer noch über dieses Thema zu schreiben und weiterhin warten zu müssen, dass alles wieder seinen gewohnten Gang geht. Um es mit den Worten von Danny Dziuk zu sagen „Man darf in diesem Land beinah alles sagen. Nur muss man aber dann auch das Echo ertragen.“. Vor allem dann, wenn man sich selbst ins Bein schießt, wenn man sich mit Leuten solidarisiert, die diese Pandemie mit ihrem Verhalten in die Länge ziehen und damit die Clubs noch länger geschlossen bleiben müssen! Nun möchte ich die Clubs nicht als „vebrannte Erde“ bezeichnen, Menschen machen Fehler, sagen dumme Sachen und vieles kann irgendwie geradegebogen werden, hier wird dies wohl nur recht schwer werden und das sage ich, Niemand der dort Konzerte mit international hochangesehenen Künstler:innen veranstalten wollte.

Am Ende noch etwas Positives. Danke an alle Locations, die sich von all diesem Zeug distanzieren, zu Impfpunkten oder Testzentren werden oder wie die Markthalle ihre Location als Schlafplatz für Obdachlose bereitstellen. Danke an all die Veranstalter:innen, die Fälle wie diese nicht still hinnehmen, sondern ihren Unmut aussprechen und Konsequenzen ziehen!