Kummer auf „Kiox“-Tour in Hamburg – mehr Schein als Sein?

Dass Kraftklub-Frontmann Felix Kummer kürzlich ein Soloalbum veröffentlichte, das so ganz anders als das Oeuvre seiner Band ist, ist ein großartiger Befreiungsschlag. Dass dieser im Hamburger Gruenspan entsprechend gewürdigt wird, ist dankbar. Doch das Konzert offenbart auch, dass es zur Kompromisslosigkeit noch ein weiter Weg ist.

Dass das Hamburger Gruenspan als vergleichsweise intime Location auch „nur“ bei einem Soloprojekt des beliebten Kraftklub-Sängers in Windeseile ausverkauft sein würde, war abzusehen. Die Musik selbst kann dabei nicht an allererster Stelle gestanden haben, wie Kummer selbst im Laufe des Konzerts konstatiert – immerhin waren bereits alle Karten weg, als gerade mal zwei Songs von „Kiox“ erschienen waren. Insofern genießt Kummer das ungeheure Privileg, alles tun zu können was er will, denn die Menschen liegen ihm eh zu Füßen. Die mittlerweile erschienene Platte des Kraftklub-Sängers nutzt diese Chance mit Bravour und zeichnet etwa ein ganz anderes Bild von Maskulinität, als es im Deutschrap üblich ist. Der Chemnitzer beleuchtet intime Teile seiner Persönlichkeit, wettert gegen Oberflächlichkeit und die Machenschaften der Modeindustrie. Ein Album, dessen Grundansatz man eigentlich nur gut finden kann – ganz egal, ob man Kraftklub-Jünger ist oder nicht.

Die richtungsweisenden Vibes der Platte gehen auch an diesem Abend im Gruenspan weiter. Kummer tritt höchstselbst auf die Bühne, um den Support-Act anzukündigen und wünscht sich von den Leuten einen angemessenen Empfang. Fantastisch dabei, dass die Wahl auf KeKe gefallen ist, sind sichtbare Frauen im Hip-Hop doch noch immer deutlich unterrepräsentiert. Die Wienerin hat bei ihrem Auftritt augenscheinlich den Spaß ihres Lebens und es ist so sympathisch, mal nicht eine breitbeinige Alpha-Hip-Hop-Machtdemonstration zu erleben. Stattdessen lacht Keke sehr ansteckend, wenn sie das richtige Mikrofon nicht findet oder agiert lebhaft mit ihrer DJane. Ihr Auftritt steckt an und resoniert deutlich mit dem Publikum. Als die Rapperin zum Finale ihre Trettmann-Kollabo „Wenn du mich brauchst“ anstimmt, ist das ein gelungener Abschluss. Es ist auffällig, dass KeKe vor allem die weiblichen Teile des Publikums in Wallung versetzt – ein deutliches Zeichen dafür, wie sehr es in dieser Schiene noch an Identifikationsfiguren fehlt.

Keke Hamburg

KeKe

Und dann kommt Kummer und sein Auftritt ist geradezu perfekt. „Nicht die Musik“ funktioniert auch in der Live-Variante als idealer Anheizer, nach dem anschließenden „Schiff“ jubeln die Fans so lautstark und langanhaltend, dass der Rapper wahrscheinlich auch noch viele Minuten weiter selig lächelnd und kopfschüttelnd ins Publikum schauen könnte, ohne dass sich am Klangpegel nennenswert etwas verändern würde. Es gibt ja auch wirklich kaum Anlass, Kummer nicht großartig zu finden. Dass etwa der epochale Autone-Teil von „Es tut wieder weh“ in der Live-Variante in ein unverzerrtes Klage-Mantra umgearbeitet wird, kann zunächst irritieren, erweist sich in letzter Konsequenz aber als mitreißender Beleg von Kummers Persönlichkeitsöffnung. Tatsächlich sind genau diese intimen Momente immer die Augenblicke, in denen der Chemnitzer am stärksten ist. Dass das eigentlich ebenso introvertierte „Ganz genau jetzt“ einen etwas unnötigen Upturn-Mix verpasst bekommt? Geschenkt. Schließlich muss diese Art von Genuss auch erlaubt sein, genau so wie der Spaß, den Kummer mit diversen zu Hip-Hop-Versionen verarbeiteten Kraftklub-Songs erzeugt.

Kummer Hamburg

Kummer

Ein Moment macht dann aber doch besonders deutlich, dass Kummer für die große Revolution noch nicht mutig genug ist. Nachdem mit dem nach einer mehr als oberflächlichen Youtube-Serie benannten Song „Wie viel ist dein Outfit wert“ eine der massenwirksamsten Kapitalismus-Kritiken des Jahres verklingt, relativiert der Mann auf der Bühne seinen eigenen Text. „Weil dieser Song oft falsch verstanden wird: Ich habe nichts dagegen, wenn jemand Marken trägt“, sagt Kummer und druckst ungewohnt unsicher weiter. Es gehe lediglich darum, dass die Kids auf Youtube die Klamotten von ihren Eltern bezahlt bekämen und so soziale Ungleichheit nur noch verstärkt würde. Natürlich ist das ein Teil des Problems, aber eben noch lange nicht das große Ganze. Der Knackpunkt ist hier weniger, dass Kummer dies nicht erkennt, sondern vielmehr, dass er die fehlende Aussage in seinem Song doch eigentlich mehr als deutlich platziert. „Life ist super nice, da wo man die Schuhe trägt/ Life ist nicht so nice, da wo man die Schuhe näht“, heißt es da. Kummer hätte alles in der Hand. Vor ihm steht eine Heerschar an Leuten, die ihm aus der Hand frisst, die Menge ist begeistert von der Performance. Und doch traut er sich schlussendlich nicht, alle dazu anzuhalten, ihren Konsum zu hinterfragen und auf Fair-Trade- oder Second-Hand-Mode zu setzen. Warum diese Vorsicht? Wohlmöglich, weil die Shirts am Merchandise-Stand heute auch aus billigen Gildan-Rohlingen hergestellt sind. Vielleicht aber auch, weil Kummer Angst hat, dass die offene Konfrontation mit unangenehmen Themen sein wohlgesonnenes Publikum schlussendlich doch verstimmen könnte. Am Ende ist Mainstream eben immer Kompromiss – aber es ist bitter, dass Konventionen auch dann noch zwischengrätschen, wenn man so kurz vor der Ziellinie steht.