Das Sziget Festival - zwischen Kunst, Musik und Wahnsinn

Einmal jährlich verwandelt sich eine kleine Insel mitten in Budapest für eine Woche lang zu einem magischen Ort. Eine Reise, die jeder Mensch einmal in seinem Leben angetreten haben sollte – auch, wenn die musikalische Ausrichtung abschrecken mag.

Was habe ich in den vergangenen Monaten viel über das Line-up des Sziget Festivals geschimpft. Mein Ticket für das ungarische Event hatte ich bereits, als noch kein einziger Act bekannt gegeben worden war, denn die Reise auf die sagenumwobene Island Of Freedom hatte ich sowieso schon seit Jahren ins Auge gefasst. Was die Veranstalter dann aber über die Monate an Künstlern bestätigten, versetzte mich dann doch eher in Missmut: Major Lazer? Macklemore? Die gottverdammten Chainsmokers? So richtig konnte ich mich mit diesem Gedanken noch nicht anfreunden. Doch das Erlebte sollte das alles völlig nichtig machen.

Denn das Sziget ist mehr als nur ein bloßes Musikfestival. Im Prinzip kann man sich diese Veranstaltung wie den Schmelztiegel jeglicher nur irgendwie denkbarer Kulturgüter vorstellen. Auf dem Sziget gibt es Kunst, Film, Theater, Tanz, Zirkus, Workshops, Comedy, Zaubershows, Artisten – und das alles noch neben einem gigantischen Künstler-Aufgebot. Mit so einer Masse an Möglichkeiten muss man erst einmal klarkommen, und so war es kein Wunder, dass meine Begleitung und ich am ersten Tag mit der völligen Reizüberflutung erst einmal völlig überfordert waren. Wir konnten noch so oft versuchen, ein bestimmtes Ziel auf der Karte in unserem Sziget-Reisepass (ja, sowas bekommt man da wirklich!) zu verfolgen, am Ende wurden wir doch wieder von zehn anderen Attraktionen abgelenkt. Und so landet man plötzlich auf einem altertümlichen Jahrmarkt und schaut einer Marionettenshow zu, bastelt am Stand eines Transportmuseums Tragetaschen aus alten Fahrradschläuchen, schaut sich im Zirkuszelt eine artistische Aufführung von Romeo und Julia an oder bestaunt einen riesigen Drachen, der aus 15.000 alten Plastikflaschen gebaut worden ist. Da verkommt Musik fast zur Nebensache.

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Und trotzdem konnte mich auch dieser Teil des Festivals dazu bewegen, über meinen Tellerrand zu blicken und tolle Sachen für mich zu entdecken. Das Line-up des Szigets findet mit seinem riesigen Aufgebot an gigantischen bis winzigen Bühnen nämlich nicht nur im Monumentalen statt, sondern vereint auch so viele kleine und große Künstler aus ganz Europa, die sonst nur selten außerhalb ihres Landes spielen. So gehe ich zum Beispiel davon aus, dass eher wenige Ungaren bisher von Marteria gehört haben dürften – auf dem Sziget hat er trotzdem gespielt. Und so erinnerte mich dieses Event daran, warum Festivals eigentlich so toll sind: Man kann sich auch einfach mal treiben lassen, neue Dinge kennenlernen, und statt dem großen Headliner, den man eh schon gefühlte hundert Mal gesehen hat, völlig unbekannte Acts erkunden. So flohen wir zum Beispiel nach wenigen Songs schon vor Wiz Khalifa und entdeckten den ungarischen Lajkó Félix, der in Kollaboration mit Óparentzia House-Beats, Geige und Sitar vereinigt – sensationell! Am frühen Nachmittag liefen wir an einer Bühne vorbei, die fast zu klein für die darauf befindlichen sechs Musiker war. Trotzdem begeisterten die italienischen Pinguini Tattici Nucleari dort mit unglaublicher Sympathie und einer mitreißenden Mischung aus Rock- und volkstümlicher Musik. Und ja, auch die großen Pop-Acts konnten mich manchmal überzeugen (verdammt, P!nk war schlichtweg sensationell gut!). Und mit Acts wie Biffy Clyro, Van Holzen oder Alt-J wurde selbst mein persönlicher musikalischer Horizont ab und an bedient – da konnten lustlose Billy Talent mit Sicherheit nicht mithalten.

Aber das alles erfasst noch längst nicht das eigentliche Erlebnis des Szigets. Dieses Festival ist so komplett anders, als man es von deutschen Events gewohnt ist. Das Veranstaltungsgelände und die Campingbereiche sind hier eins – man kann also quasi überall sein Zelt aufschlagen, es gibt keine nervigen Kontrollen vor Einlass und man kann so viel Trinken und Essen vor die Stages mitnehmen, wie man möchte. Beim Sziget ist man auch nicht durchgängig betrunken und verbringt den halben Tag nur am Camp – dort schläft man maximal, den Rest des Tages ist man unterwegs. Es gibt so viel zu entdecken, zu erkunden und auszuprobieren, das eigentlich selbst die vollen sieben Tage nicht wirklich ausreichend sind. Da stört es auch gar nicht, dass das Mitbringen von Alkohol auf die Insel erst gar nicht erlaubt ist – das Sziget fühlt sich sowieso wie ein durchgängiger Rausch an. Dieses Festival ist so anders als alles, was es in Deutschland gibt, und sollte jedem einmal die etwas weitere Reise wert sein. Denn auf dem Sziget Festival findet garantiert jeder etwas, was ihm gefällt – da können noch so viele schlechte EDM-DJs vorbeischauen.

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