Kolumne

Wenn die Euphorie fehlt - Wie ich mir durch Fotografie Konzerte entzaubert habe

Nach fünf Jahren der Konzertfotografie voller schlafloser Nächte, Nervosität, Euphorie und Enttäuschung musste ich mir mal etwas lange angestautes von der Seele reden. Das Ergebnis ist dieser unerwartet positive Artikel.

Vor Kurzem fragte mich jemand nach einem Konzert, auf wie vielen Konzerten ich ungefähr schon war, so generell und während ich früher jedes aufzählen und komplett in meinem Kopf rekonstruieren konnte, war meine Antwort heute, dass ich es absolut nicht mehr weiß, und regelmäßig vergesse ich, wer schon alles vor mir auf der Bühne stand und vor allem wen ich bereits fotografiert habe. So vergesse ich immer mal wieder, dass ich Provinz schon vor der Linse hatte, als sie noch keine Shows ausverkauft haben, Imminence, welche damals noch unter dem Radar flogen oder auch Lonely Spring, die wir ja fast zum ESC geschickt hätten. Ich stelle mir seitdem die Frage, rede da mit anderen Fotograf*innen drüber und versuche zu reflektieren, warum oder wie ich den persönlichen Bezug zu Konzerten verloren habe, seitdem ich so gut wie jedes, welches ich besuche, auch fotografiere und auch lange danach noch Beschäftigung damit habe, wenn ich die Bilder bearbeite, poste oder sie an die abgebildeten Leute weiterschicke. Nun dachte ich mir, schreib ich mal was drüber, denn eventuell zeigt es auch mal all das, was „normale“ Konzertbesucher*innen nicht sehen, also alles, was davor und danach passiert, wenn man sich als Fotograf*in auf einer Show bewegt.

Schritt 0: Spannung, Vorfreude, Enttäuschung

Wie genau geht ihr auf Konzerte? Oder eher, was macht ihr vor einem Konzert? Genau, ihr kauft ein Ticket für euch und eure Freunde und freut euch dann, wenn es mit der Post ankommt. Wie genau sieht das aus, wenn jemand als Presse dort hingeht? Als Erstes kommt die Anfrage. Wird diese genehmigt, abgelehnt, oder das Schlimmste, bleibt sie einfach unbeantwortet? Im Hintergrund läuft dann die Anspannung auf Hochtouren, denn für Konzerte verschiebt man ja gern mal Termine, muss Hin- und Rückfahrt organisieren oder auch einen Aufenthalt und wenn eine Antwort spät kommt, sind einige dieser Dinge nicht mehr wirklich erschwinglich oder auch einfach nicht mehr stornierbar, wenn man sich vorher darum gekümmert hat. Kommt allerdings Ab- oder Zusage, so machen sich entweder Enttäuschung oder Euphorie breit. Bei Ersterem findet man sich damit ab, bei Zweiterem geht es weiter.

Schritt 1: Anspannung, Freude, Arbeit

Der Weg zu einer Location ist für mich immer eine kleine Tortur. Steht man wirklich auf der Liste, wurde alles mitgeteilt, wie sind die Fotoregeln, wurde was gestrichen? Alles so Gedanken, welche auf Situationen beruhen, die mir als Pressemensch eines eher kleinen und unbedeutenden Musikmagazins schon passiert sind. Immer mal wieder steht man nicht auf einer Liste und es muss lang rumtelefoniert werden, man bekommt viel zu spät die Nachricht, dass einem die Fotoerlaubnis gestrichen wurde, weil man lieber die Leute da haben möchte, die uninspirierte Nahaufnahmen machen, um sie dann in ihr viel gelesenes Tagesblatt drucken können, aber keinerlei Passion dabei empfinden oder einem unnötig strenge Regeln auferlegt werden, welche die ganze Erfahrung komplett zu Nichte machen und für Stress sorgen. Oftmals, vor allem im kleinen bis mittelgroßen Sektor, gibt es eher unregelmäßig Probleme und wenn, werden sie schnell genug gelöst.

Auf dem Weg hin stellt sich bei mir aber schon oft eine null Bock Attitüde ein. Man denkt an das Danach, die Arbeit welche eben nicht mit dem letzten Foto endet. Das zieht sich teilweise auch noch bis zum Anfang des Konzertes selbst. Sicherlich kennt ihr alle diesen wahnsinnig erregenden Moment, wenn vor der Hauptband das Licht ausgeht, alle anfangen sich zu freuen und zu schreien, zu feiern oder zu tanzen, hier stellt sich bei mir eher dieses Gefühl des „Na endlich geht es los“ aber nicht im euphorischen, sondern leicht genervten Sinne ein. Und diese Realisierung war echt etwas hart. Von da an hab ich dann auch fast immer Spaß, denn ich gehe ja weiterhin vor allem auf Konzerte, auf die ich hart Bock habe und dabei dann auch noch meiner Passion nachzugehen ist wahnsinnig schön. Ab hier beginnt dann aber auch Arbeit, ein Tunnelblick und volle Immersion. Ich habe schon mehr als einmal meine engsten Freunde nicht begrüßt, weil ich sie überhaupt nicht bemerkt habe. Immer mal wieder kommt es zwar zu Unverständnissen einiger Leute gegenüber Fotomenschen, man wird unsanft geschubst oder teilweise werden mir auch Schläge angedroht, weil ich lieber mitmachen als fotografieren soll (ohne Mist, ist schon passiert). Leute greifen mir absichtlich auf die Linse oder drücken mir in mit ihren Fingern in den Rücken, damit ich meine Arme runternehme, um Crowdshots zu machen, aber das hält sich immerhin so weit in Grenzen, dass es oft nur ein kurzes Ärgernis ist, welches man spätestens beim Schnack danach abschüttelt. Mit dem Ende des Konzertes stellt sich dann auch bei mir oft das adrenalingetriebene Gemüt ganz vorne in den Kopf und lässt mich freudig nach Hause oder ins Hotel fahren. Allerdings endet die Erfahrung ja hier nicht.

Schritt 2: Danach, mehr Arbeit, Anstregung

Hier geht dann die Spirale los. Nach Hause kommen, SD-Karten in den Rechner stecken, alles in Lightroom schieben und am besten schon mal drüber gucken, erste Bilder verschicken, wenn die Künstler*innen es sich gewünscht haben. Nach endlosem Warten und wenig dabei herausbekommen halb tot ins Bett fallen und am nächsten Tag den ganzen Rest durch Lightroom ziehen. Sich dabei über Abstürze, verkackten Fokus oder anderes aufregen und immer mal wieder krass über ein großartiges Foto freuen. Irgendwann ist man dann fertig, schiebt die fertigen Bilder in eine Dropbox und fegt den übrigen Datenmüll in den digitalen Äther. Dann kommt die Nachsicht, die Postvorberitung, das Verfassen eines Textes und dem weiterschicken von allem an Stellen, welche all das haben wollen.

Schritt 3: Spannungsabfall, Freude, Repeat

Ab hier folgen eher weniger Probleme. Ab und an ein paar Beschwerden darüber, dass man Leuten die Sicht genommen hat, dass bestimmte Sachen nicht optimal aussehen oder man Aspekte eines Konzertes doch hätte gesondert erwähnen sollen. Das ist aber das Minimum, eher erreichen mich lobende Worte, Dank und Komplimente und irgendwie ist das auch das Elixier, welches all das am Leben hält und weswegen ich das gern mache. Ich erwähne hier mal kurz die Situation, welche mich innerlich sehr gerührt hat, als meine lieben Kolleg*innen Jannie, Kai und Moritz im Plattensprung Podcast kurz über meine Fotos aus Hamburg redeten. Solch Anerkennung ist eine positive Droge und wenn man sein Schaffen nicht ausschließlich darauf anpasst, auch definitiv die netteste Dreingabe. Mittlerweile werde ich immer mal wieder darauf angesprochen, Menschen klopfen mir dankend auf die Schulter und Künstler*innen, Veranstalter*innen und Co. erkennen mich wieder und/oder fragen mich persönlich, ob ich denn nicht Bock hätte, mal wieder für sie Fotos zu machen. Vor Kurzem stand ich halb im Moshpit von Fjørt und kurz bevor die Wall of Death ihre Eigendynamik entlud, klopfte mir jemand auf die Schulter, um mir zu sagen, wie sehr er meine Arbeit schätzt. Skurril, ein eher unpassender Moment, aber schön. Und wegen diesen Momenten ist es dann doch immer wieder so, dass man mich irgendwo rumspringen sieht. Natürlich werde ich gern auch finanziell für so etwas entlohnt, aber das ersetzt hoffentlich niemals dieses Gefühl, welches positive Worte einem geben.

Schritt 4: Hochmut, Fazit, Danke

Ich finde mich gerade im Zwiespalt wieder. Das alles ist Heulen auf sehr hohem Niveau und klingt nach absolut aufgebauschten Problemen. Nun ja, sind es auch und ich genieße das Privileg, kostenlos bzw. für Arbeit auf Konzerte zu gehen und mal eben noch ein paar nette Fotos danach zu haben, jedoch gibt es oft Momente, in welchen ich eigentlich keinen Kopf mehr für irgendwelche Dateien habe und es alles in Stress ausartet. Mir ist auch bewusst, dass ich mir das ganze Thema Musik und Konzerte selbst entzaubert habe. Aber warum dann dieser Text, welcher ja dann doch positiver klingt, als ich ihn geplant hatte? Eben genau um mir das klar zu machen. Wisst ihr, immer wieder wird ein Konzert für mich gerettet, wenn ich ein Foto mache und es schon in der Kameravorschau absolut hervorragend aussieht. Ab dann stellt sich auch die Vorfreude für die Bearbeitung ein und die Spannung wie die Menschen, welche eventuell gespannt auf Fotos warten, darauf reagieren. Und genau diese Punkte muss ich mir selbst immer mal wieder klar machen. Wie cool es ist, solche Möglichkeiten zu haben, wie viele tolle Menschen ich durch all das bereits kennengelernt hab und wie viel mir das in meiner Passion und meinem Leben bisher gebracht hat, welche Möglichkeiten es mir noch bringen könnte und wird. Ich muss mir öfters bewusst machen, dass all der Frust, die Anstrengung und die Arbeit davor, während und danach es wert sind, wenn das fertige Produkt so eine Positivität mit sich bringt. Auch wenn es eben bedeutet, dass Konzerte für mich kein Wochenhighlight, sondern eher Normalität sind und auch nicht mehr nur positives in meiner Erinnerung bleibt.

Zum Abschluss noch ein ganz wichtiges Wort des Dankes an all die Leute, welche zu diesen Anfragen immer wieder „Ja klar“ sagen. An Leute wie Carsten vom Beatpol, den Menschen von Kingstar oder auch Mirko von Uncle M, Andi von der Chemiefabrik, Niclas und Olli von Zuendstoff, Erich aus der GrooveStation und vor allem an Mark vom AdW, welcher meine Anfragenflut immer wieder bewältigt und blitzschnell auf Extrawünsche eingeht. Aber auch so vielen mehr, welche ich jetzt gar nicht aufzählen kann. Auf weitere Konzerte, lange Nächte vorm Rechner und all dem guten Danach!

 

Die Fotos sind von folgenden Künstler*innen:

Kotzreiz at GrooveStation Dresden / Fjørt at Beatpol Dresden / Team Scheiße at GrooveStation Dresden / Lobsterbomb at Beatpol Dresden / Lygo at Haekken Hamburg / Counterparts at Blauer Saloon Dresden