Kolumne

Retro Review: Warum das "12 Song Program" musikalische Trauerarbeit ist

11 Jahre sind wir jetzt schon ohne ihn und es tut noch immer weh. Aber Tony Sly hat uns einiges hinterlassen und neben ein Paar der besten Punkplatten aller Zeiten mit No Use For A Name, auch ein wundervolles Solo-Album: Das zauberhafte „12 Song Program“. Eine sehr persönliche Retro-Review.

Es ist eigentlich schon ein Klischee, je lauter man mit der Band auf der Bühne ist, desto leiser ist man auf dem Soloalbum. Und natürlich macht da auch Tony Sly mit. Sein „12 Song Program“ folgt einem ersten, gemeinsamen akustischen Ausflug von Tony Sly und Joey Cape. Dabei covern sie ihre eigenen Songs akustisch. Auf dem „12 Song Program“ sind es dann komplett neue Songs. Meist mit Gitarre und Bass inszeniert, aber auch mal mit Akkordeon und leichtem Schlagwerk. Nach eigener Aussage ist das Album traurig. Und da hat er Recht. Kein Song ist, und wenn auch nur im Kern, nicht traurig. Große Themen, die sein Leben bestimmen, meist eben wenig positiv. Alkohol, Liebe, Unzuverlässigkeit, Unsicherheit und unfassbar viel Angst. Ganz besonders vor den aufgezählten Dingen. Und doch ist immer ein Hauch Hoffnung zu finden, zumindest aber eine Fuck You Haltung. Denn er hat immer weiter gemacht. Warum er das macht, wird spätestens im Song „Keira“ klar. Mit No Use For A Name hat er bereits seiner ersten Tochter den Song „For Fiona“ geschrieben. Nun hat er seiner zweiten Tochter Keira auch einen Song gewidmet. Eine Nachricht, wenn er nicht mehr da ist, um sie aufwachsen zu sehen. Ein Gute-Nacht-Lied, für eine Zeit, wenn er ihr keines mehr singen kann. Zweieinhalb Jahre später war Sly tot. Im Schlaf gestorben, vermutlich an einem Mix aus Schmerzmitteln und angstlösenden Medikamenten. Da er nicht obduziert wurde, ist die Todesursache bis heute unklar. Was sicher ist, dass er seit einem schlecht therapierten, schweren Bandscheibenvorfall ohne Schmerzmittel gar nichts machen konnte, die Schmerzmittel schwerwiegende Verdauungsprobleme verursacht haben und Sly physisch wie psychisch komplett am Ende war. Die Probleme mit Schmerzmitteln und Antidepressiva waren schon beim „12 Song Program“ aktuell und werden in „Capo, 4th fret“ thematisiert. Die Erkenntnis in sich gefangen zu sein, ein Problem zu erkennen, aber auch der Kampfeswille zeichnen diesen Song in all seiner Resignation aus. Wie darauf abgestimmt folgt mit „Via Munich“ ein kleines Liebeslied.

Für einen winzigen Kritikpunkt muss aber auch hier Platz sein. Denn wie man sich von vielen Punksongs Akustikversionen wünscht, so hätte „Expired“ eine Punkversion verdient. Vielleicht wird sich irgendwer einmal erbarmen und diesem perfekt geschrieben Punksong eine Punkversion schenken.

Hot Take an dieser Stelle, aber „Love, Sick Love“ ist vielleicht einer der besten Popsongs aus der Feder eines Punks. Wie Tony Sly in Situationen, die wenig Liebe verströmen Liebe findet ist absolut rührend und seine Umsetzung wärmt einem das Herz.

Ich breche an dieser Stelle die Rolle komplett, denn dieses Album bedeutet mir viel zu viel. Und es treibt mir immer wieder die Tränen in die Augen. Und dass, obwohl ich das Album erst nach seinem Tod das erste Mal gehört habe. Aber diese Ahnung, dass Tony schon diese Ahnungen hatte, was noch auf ihn zukommen sollte, als er dieses Album geschrieben hat, verleiht seiner Person etwas merkwürdig mystisches. Aber ganz real sind diese Texte zeitlos, man findet und verliert sich zu leicht darin. Vielleicht kommt da auch diese Verbundenheit her, denn es sind wahnsinnig persönliche Texte seinerseits und trotzdem fühlt man sich angesprochen. Und man könnte noch so viele Dinge aufzählen, die das „12 Song Program“ so großartig machen, das Duett mit Joey Cape in „Amends“ der Ausbruch im eigentlichen Hidden Track „Fireball“, doch alle Besonderheiten zusammen können nicht diese Gefühle übertreffen, die einem kommen, wenn man sich derart in einem Album und seinen Geschichten findet und verliert. Tony, du fehlst immernoch.

Fazit