Im Kreuzverhör

Im Kreuzverhör #54: R. Dean Taylor - "I Think, Therefore I Am"

Einmal monatlich stellt sich die Redaktion gemeinsam Platten außerhalb ihrer Komfortzone. Dieses Mal wirft Frank "I Think, Therefore I Am" von R. Dean Taylor in den Ring.

Ein Album in den Ring zu werfen, dessen Veröffentlichung 53 Jahre zurückliegt, ist gewagt. Ich gebe es zu, "I Think, Therefore I Am" klingt ein wenig wie WDR 4 oder NDR 1 und scheint aus der Zeit gefallen. Aber den wenigsten ist bewusst, dass R. Dean Taylor einer der wenigen Weißen beim prägenden Motown-Label war. Die Lyrics des Albums sind weiterhin aktuell. Sie handeln von ökologischen Katastrophen (!), Selbstmord, unglücklicher Liebe, Verlassenheit und menschlichen Abstürzen. Das ganze verpackt in souligem, teilweise fröhlichem Singer-/Songwriter-Gewand. Selbst das Cover des Albums steht in völligem Kontrast zu diesen Texten.

Nun, was hat dieses Album mit mir zu tun? Der schottische Autor Ian Rankin hat mit dem mürrischen, unkonventionellen und doch herzensguten Inspektor Rebus eine Figur erschaffen, die mich seit 25 Romanen fesselt. Und genau dieser Inspektor hört während seiner oft kruden Fälle, die immer wieder von menschlichen Abgründen geprägt sind, sehr viel Musik. Sie hilft ihm beim Denken, beim Vergessen, dient ihm zur Warnung oder zeigt seine tiefe Melancholie. Im Roman "Ein Haus voller Lügen" summt der Protagonist das Lied "There's A Ghost In My House" des besagten Künstlers. Da ich die nerdige Angewohnheit habe, sämtliche mir unbekannten Songs, die in den Romanen erwähnt werden, anzuhören, stieß ich auf das Album "I Think, Therefore I Am". Und dann landete die Vinyl in meinem Plattenschrank. Und so bin ich nun verbunden mit dem Album und dem Roman. Das Album nicht zu mögen, wäre für mich gleichbedeutend mit der Verachtung des musikalischen Vermächtnis eines Inspektor Rebus'. Es käme einem Verrat gleich, den ich mir nicht verzeihen könnte. Ich befürchte, Rebus würde mir auch nicht verzeihen.

Hört man "I Think, Therefore I Am" einfach nur mit einem Ohr zu, so klingt dieser wunderbar klassische Rocksound der 60er/70er in den Ohren, welcher auch straight in einem feel good Roadmovie Platz gefunden hätte. Hört man jedoch genauer hin, so lassen sich einige große Erfahrungen mit der Platte machen. Nicht nur wechselt R. Dean Taylor hier sagenhaft oft Stimmung und Dynamik der Songs, sondern schreibt nebenbei auch Texte, welche so auch von einer Indie-Punk Band kommen könnten. Herzschmerz und Umweltkatastrophen, welche heute auf Twitter, tumblr und der Tagesschau jeden Tag zu hören oder lesen sind, sind dabei nur zwei der Dinge, von denen diese Texte handeln. Es braucht auf jeden Fall mehr als einen Durchlauf des Albums, um die massive Eindrücklichkeit zu erkennen und da es sich auch noch so entspannt und gut anhört, ist das auch keine große Hürde!

Es überkommt mich jedes mal ein gewisser Schauer, wenn ich feststelle, dass Musik, die lange vor meiner Geburt herauskam, immer noch über eine gewisse Aktualität verfügt. Was Taylor hier besingt, könnte auch eins zu eins auf einem der wenigen guten tumblr-Lyrik-Accounts vorkommen. Und da tumblr quasi nicht mehr existent ist, fühle ich mich mit Mitte 20 plötzlich alt. Ich hätte genauso gut MySpace, ICQ oder SchülerVZ schreiben können, es hätte eventuell noch ein breiteres Publikum angesprochen, zu dem ich nicht mal wirklich selbst gehöre. Aber sei es Liebeskummer, sei es die Umwelt, alles wird Präzise benannt und lyrisch einzigartig gepackt, in einem Stil, der außer Melancholie keinen richtigen Namen hat. Wie eben auf tumblr. Oder MySpace. Werde ich wirklich alt?