Artikel

Unter dem Radar #35: scheitern.dreitausend

Eine Band mit zwei Frontmenschen – funktioniert das? Scheitern.dreitausend aus Bremen beweisen, dass aus so einer Konstellation wunderbar ehrlicher und dreckiger Indie-Rock entstehen kann.

Heimat: Bremen

Genre: Indie-Rock

Bisher veröffentlicht: „Diese Stadt ist zu groß für uns beide“ (2022)

Für Fans von: Tocotronic in den 90ern, Courtney Barnett

Scheitern.dreitausend schauen zu dritt aus einer Zoom-Kachel und stellen sich erstmal gegenseitig vor. „Henri ist ein sehr toller Bassist gewesen früher und jetzt ist er Rockstar und Gitarrist“, erzählt Bassist John über seinen ehemaligen Mitbewohner, der die eine Hälfte der Songs schreibt und tatsächlich nicht nur Gitarre spielt, sondern sich auch mit Mello am Schlagzeug abwechselt. Denn vielleicht das Auffallendste an scheitern.dreitausend ist der Umstand, dass Henri und Mello, die die andere Hälfte der Songs schreibt, regelmäßig die Instrumente tauschen. „So hat das auch angefangen: Mello und ich haben Songs geschrieben und dann hat die jeweils andere Person Schlagzeug gespielt und dann ist das so ein bisschen gewachsen“, beschreibt Henri die Anfangsphase der Band.

Hervorgegangen ist scheitern.dreitausend aus der Punkband Schutt, in der Henri Bass und Mello Gitarre spielten: „Da hab ich halt erst so richtig Musikmachen gelernt. Und wenn die anderen nicht konnten, dann waren Mello und ich zusammen im Proberaum und dann haben wir halt Quatsch gemacht. Weil die anderen aus der Band viel zu tun haben, ist dann mehr daraus geworden. Jetzt gerade ist diese Band für uns beide musikalisch sogar eher der Fokus.“ Mello ergänzt: „Das war ein Knackpunkt, glaub ich, dass wir dann eine separate Band gemacht haben. Bei Schutt haben die Lieder nicht so reingepasst, in denen es auf einmal um unsere eigenen Gefühle und Geschichten geht“.

Man könnte diese Lieder, die vor allem Ängste, Sinnkrisen und Zweifel behandeln, Emo nennen. Oder sie in die Tradition der Hamburger Schule einordnen, aber „in Hamburg sind alle immer cooler man selbst“, wie es auf dem Album „Diese Stadt ist zu groß für uns beide“ heißt. Der klangliche Vergleich mit den frühen Tocotronic ist jedenfalls nicht zu weit hergeholt: „Die ersten vier, fünf Tocotronic Alben haben wir auf jeden Fall gehört, als wir angefangen haben“, gibt Henri zu. Aber auch Car Seat Headrest, Phoebe Bridgers und Courtney Barnett haben Einfluss auf den Sound der Band. Und für Henri eine Band besonders: „Diese Livesession, die Slaughter Beach, Dog bei Audiotree gemacht haben, da hab ich gedacht, das will ich auch machen.“

Mello und Henri schreiben die Songs unabhängig voneinander und versuchen sie dann im Proberaum gemeinsam zu spielen: „Ich glaub das ist mega wichtig für den Feinschliff, das mit Mello oder John auszuprobieren.“ Aber: „Die Hoheit über den Song hat am Ende immer die Person, die ihn geschrieben hat.“

Gerade John bringt als Halb-Außenstehender eine besondere Perspektive in den Prozess: „Das find ich total toll, da dabei zu sein und überrascht zu werden, was für neue Ideen sie mitbringen. Und dann wird da gemeinsam dran rumgeschraubt. Das hab ich mit keiner Band bisher auf diese Weise erleben dürfen, und da hab ich sehr viel Freude dran.“

Die Aufnahme des Albums war weniger harmonisch: „Da ist fast die Freundschaft hier auseinandergegangen, wir haben uns nur angeschrien und fast geprügelt“, lacht Mello. „Nein, aber es war schon intense und sehr viele angestrengte Gefühle dabei.“ Hinzu kam, dass sich die Aufnahmen über knapp anderthalb Jahre erstreckten, die Zwischenergebnisse mit einem kaputten Laptop verloren gingen und zusammen mit Simon, der das Album gemischt und gemastert hat, viel ausprobiert wurde. „Das war alles durcheinander und das war für ihn im Mixing-Prozess auch richtig Pain. Aber wir haben daraus gelernt, was wir wieder so machen wollen und was wir auf gar keinen Fall wieder so machen wollen“.

Um mit den Songs dann live aufzutreten, wurde der gelernte Schlagzeuger John als Bassist verpflichtet und verschob für das erste Konzert der Band sogar einen Urlaub. Zu dritt standen sie dann im April 2022 als Support für Acht Eimer Hühnerherzen auf der Bühne des Bremer Kulturzentrums Lagerhaus. Die Aufregung, diese Songs zum ersten Mal der Öffentlichkeit zu präsentieren, legte sich schnell, erzählt Mello: „Ich bin sonst überhaupt nicht selbstbewusst. Aber in dem Moment habe ich mich sehr sicher gefühlt. Ich hab keine Ahnung woher das kam.“ „Danach musste ich erstmal ne Weile klarkommen“, erinnert sich Henri.

Mit dieser Erfahrung machen sich scheitern.dreitausend an neue Songs, probieren neue Ideen aus und finden heraus, was für eine Band sie überhaupt sein wollen. Mello stellt fest: „Wir lernen alle sehr viele gerade. Und es macht sehr viel Spaß. Es ist eine Reise“.