Reviews

Yard Act und “Where’s My Utopia?”: Disco Noir

Post-Punk ist seit jeher die musikalische Stimme der Zynischen, die Ode an den Pessimismus. Yard Act stellen mit ihrem zweiten Album die unvermeidbare Gegenfrage – und versuchen sich sogleich an einer Antwort.

Wer angesichts des Albumtitels nun eine Friede-Freude-Eierkuchen-Platte über Blumenwiesen und vollautomatisierten Luxuskommunismus erwartet, dem sei Entwarnung gegeben. Das hier ist immer noch britischer Post-Punk und damit weit entfernt von gut gelaunter Weltverklärung. Schließlich setzt ja die Frage “Where’s My Utopia?” auch voraus, dass die Utopie gerade nicht da ist. Yard Act formulieren hier also vielmehr ihre Sehnsucht nach etwas Neuem, nach einer Erzählung von einem besseren Morgen. Ganz so konzeptig wie das hier jetzt klingt, ist das Album am Ende zwar auch nicht, aber der Reihe nach.

Während die teils an den Sprechgesang von Genrekollegen wie Sleaford Mods erinnernden Vocals von James Smith auch auf Platte Nummer zwei wieder gleichermaßen triste Resignation und humorvolle Unantastbarkeit versprühen, schwingen sich die Instrumentals auf “Where’s My Utopia?” zu geradezu überschäumender Fröhlichkeit auf. Die Anti-Sellout-Sellout-Hymne und Lead-Single “We Make Hits” oder auch “Dream Job” warten beispielsweise mit funkigen Discopassagen auf, bei denen sich unwillkürlich die innere Paillettenhose aufdrängt. Ein schmaler Grat, denn bisweilen schlingert diese Soundakrobatik von leichtfüßig nach aufgeplustert, wenn zum Beispiel “The Undertow” in Sachen Streichern etwas zu dick aufträgt. 

Wirklich brillant sind dagegen die introspektiven Momente der Platte, in denen sich Smith in fast schon schlafwandlerischen Monologen selbst therapieren zu scheint, während seine Bandkollegen um ihn herum eine unheilverheißende Kulisse aufziehen. “Down By The Stream” ist so ein Moment, in dem sich eine harmlos wirkende Anekdote über die Dummheiten der eigenen Kindertage in eine zähneknirschende Reflektion über Mobbing, Peer Pressure und die eigene Rolle in solch einem sozialen Gefüge entwickelt. “Blackpool Illuminations” bildet zusammen mit “Down By The Stream” das erzählerische Highlight von “Where’s My Utopia?”. In einem manischen Strom seiner eigenen Gedanken durchlebt Smith seine Kindheit von einem prägenden Erlebnis mit sechs Jahren bis hin zur Angst vor den Erwartungen der eigenen Fans, alles anhand einer wiederkehrenden Reise in die westenglische Stadt Blackpool.

Fazit

6.8
Wertung

In seinen besten Momenten ist “Where’s My Utopia?” großartig, allerdings fällt es dem Album zusehends schwer, eine Balance zwischen musikalischer Eingängigkeit und erzählerischer Tiefe zu finden. So arbeiten die beiden großen Stärken der Platte quasi gegeneinander. Eine konsequente Entscheidung in die eine oder andere Richtung hätte dem Album gut getan.

Kai Weingärtner