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Molly Punch und „Mouthfeel“: Der Geschmack des Wortes

Ging das Debütalbum „A Monster A Day“ 2020 im Corona-Lockdown noch ein wenig unter, so konnten Molly Punch schon vor dem Release des Nachfolgers als Support von Captain Planet und Turbostaat verdientermaßen durchstarten. Nun erscheint mit „Mouthfeel“ ein Riot-Grrrl-Grunge-Punk-Album, das scheppert und textlich den Nerv der Zeit trifft.

„Mouthfeel“ als Begriff kennzeichnet ein grundlegendes, sensorisches Gefühl, welches Gegenstände, aber auch Worte im Mund hervorrufen. Welche Gefühle das beim Songwriting der temporeichen zehn Songs auf dem neuen Album waren, lässt sich nur erahnen. Aber es scheint nicht immer ein gutes Gefühl gewesen zu sein. 

Gleich der Opener „Coven“ rotzt in typischer Grunge-Manier bittere Worte der (groß-)elterlichen Generation entgegen, die Gitarre, Bass und Drums verweben sich zu einem wütenden Sound. Auch in der Folge gönnen die Songs nur wenig Atempause. Die Worte müssen raus, bevor sie doch wieder Gefahr laufen, ungesagt zu bleiben. Und so trotzen die drei Musiker:innen der Bitterkeit ihrer Worte. Der Gesang von Janina „Nine“ Mai duldet keinen Widerspruch, unbeirrt und temporeich vorgetragen entsteht der Eindruck, die Instrumente ordnen sich unter, folgen atemlos dem Gesang und - wenn nötig - entlasten ihn. Beim Mitlesen der Lyrics entsteht ein Beigeschmack, eine Ahnung dessen, was diese Worte beim verbalen Ausbruch aus den Gedanken bei Nine ausgelöst haben. Auf jeden Fall klingt ihre Stimme am Ende („Cheap Cake“) erschöpft und zerbrochen.

Auf ihrem Instagram-Account haben sich die drei zu den Themen des Albums geäußert. Es sei „randvoll mit Geschichten über ganz normale Menschen, Löffel, Zwischenmenschliches, Beerdigungen […], Angst […], Kabel im Kopf, Worte im Mund“. Und somit definiert die Kölner Band auch gleich den Begriff „normal“ als Synonym für unsere heutige Gesellschaft in all ihrer Diversität, in der es die von der Mehrheit propagierte Normalität gar nicht mehr gibt. Normal ist vielmehr die Verletzlichkeit und das daraus resultierende Verschließen vor anderen („Trickster“), normal ist die quälende Ungewissheit über die eigene Geschlechteridentität („Coven“, „Margarita & The Master“), normal ist schmerzendes Verliebtsein („Cutting together apart“) und normal ist auch, sich nicht mehr sicher sein zu können, das Richtige zu sagen („Wired“). 

In vielen Songs dominiert die verzerrte, grungige Gitarre, den schmutzigen Sound macht aber erst das scheppernde Drum-Spiel von Farroch Ojan perfekt. Seltener dominiert der Bass von Svetlana Sokolov, wie in „Like You“, „Wired“ oder „Normal People“, aber selbst im Hintergrund sorgt sie dafür, dass Gitarre und Drums nicht völlig entgleiten. Und dies ist neben den Texten die große Stärke des Albums, welches in den Bear Cave Studios aufgenommen wurde. Großartig produziert, aber nie kaputt geglättet.

Auch wenn die Hochzeit des Grunge in den frühen 90ern lag, transportiert die Band den typischen Sound in einer erfrischenden Frechheit ins Hier und Jetzt, als wolle sie zeigen , dass die Menschen durchgerüttelt werden müssen, so wie es Grunge tat. Ebenso sieht sich die Band in der Aufrechterhaltung der Riot Grrrl-Bewegung verankert, gerade Nine setzt sich immer wieder mit FLINTA* in der Punk-Szene auseinander.

Fazit

8.1
Wertung

Mit „Mouthfeel“ schaffen Molly Punch eine wütende und laute Reminiszenz an den Grunge und den Beginn der Riot Grrrl-Bewegung in den frühen 90ern. Dabei wirken ihre Songs keineswegs wie eine Kopie dieser Zeit, sondern der scheppernde Drum-Sound und die verzerrten Gitarren bilden das ideale Ausdrucksmittel, um ihre Gedanken, die sich im großen Kosmos von Angst und Zwischenmenschlichem bewegen, facettenreich in Worte zu fassen. Das Album schafft es dabei, mich auf zwei wesentlichen Ebenen zu erreichen: textlich anspruchsvoll und musikalisch intensiv. WOW!

Frank Diedrichs