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Laura Jane Grace und "Hole In My Head": Feinheiten menschlicher Erfahrungen

Laura Jane Grace zeigt in ihrem dritten Studioalbum, dass sie sich an vielen (musikalischen) Orten zu Hause fühlt - sei es der Punkrock ihrer Band Against Me!, der 60s-Rock oder folkige Akustiksongs. In diesen Sound offenbart sie sich erneut und lässt die Hörenden teilhaben an ihren Gedanken und ihrem Selbst.

Musikalisch und lyrisch bringt es die Sängerin auf den Punk(t). Kein Song übersteigt die überflüssige Drei-Minuten-Grenze. Warum auch? Punk brauchte noch nie ausufernde Songs.

Und mit dem titelgebenden Opener nimmt das Album in typischer Against Me!-Art dann auch gleich Fahrt auf. Auch die nachfolgenden Songs sind ebenfalls überwiegend temporeich und musikalisch kraftvoll. Und auch das Ende von „I’m Not A Cop“ greift die so häufig typische Wut der Band auf. Mit „Cuffing Season“ verändert sich jedoch die Spielweise. Laura Jane Grace nimmt das Tempo aus den Songs, der Sound reduziert sich und die Lyrics gehen tiefer, werden noch persönlicher. 

Lyrisch begegnen den Hörenden wieder die für die Songwriterin typischen persönlichen Texte, die in der Vergangenheit um thematische Schwerpunkte wie Sozialkritik, politische Kommentare oder Selbsterkenntnis kreisten. Diesmal greift Laura Jane Grace noch stärker die Aufarbeitung von Erfahrungen auf. Der Song „Birds Talk Too“ greift musikalisch das Ende einer langen Reise auf, in der sich die Sängerin von den Füßen beginnend bis zum Kopf tätowieren ließ. Im Sommer ließ sie sich vom japanischen Tattoo-Künstler Gakkin einen Flügel auf den rasierten Schädel verewigen. Ein mutiger Schritt, galten doch ihre langen Haare in der Transgender-Community als mit ihrer körperlichen Identität verbunden. Dieses Tattoo war ihr persönlicher Abschluss, ein „Go Outside To Find Myself“. In „Punkrock In Basements“ geht es um die Auseinandersetzung mit der eigenen Punk-Vergangenheit, die in den bedauernden und vielleicht auch die Tatsache verleugnenden Worten endet: „Punk Is Dead!“ Sie greift in „Cuffing Season“ und „Taco & Toast“ ihre Erfahrungen in ihrem neuen Lebensmittelpunkt in St. Louis auf und ihre Zerrissenheit, einen Teil ihres Lebens in Chicago zurückzulassen. In „Dysphoria Hoodie“ stellt sich Laura Jane Grace erneut ihrer Transformation und zeigt sich dankbar, dass ihr Lieblingshoodie sie beschützt und magisch umhüllt, wenn die Außenwelt mal wieder mit ihrer persönlichen Geschlechteridentität hadert und mensch somit dann doch wieder gezwungen wird, diese in weiten Hoodies zu verborgen.

Den Abschluss des Albums bildet der Akustiksong „Give Up The Ghost“. Mensch spürt förmlich die Zerbrechlichkeit von Laura Jane Grace, wie sie mit sich und ihren Erfahrungen hadert. Mensch spürt ihr Bedürfnis sich für all das zu entschuldigen, was sie anderen an Leid und Kummer zugefügt hat („Hard Feelings“). Aber es sind die eigenen Erfahrungen, die einen Menschen prägen und ausmachen und es ist das Selbst in uns, dass niemand verstecken müssen sollte („Dysphoria Hoodie“). Laura Jane Grace ist sich dessen wahrscheinlich mehr als andere bewusst. Deswegen kann sie den Hörenden auch Trost spenden („Keep Your Wheels Straight“). 

Unterstützung hat sich Laura Jane Grace von Matt Patton, dem Bassisten von Drive-By Truckers geholt, der sie auch gesanglich begleitet („ Birds Talk Too“). Auch wenn die musikalische Sozialisation beider Menschen unterschiedliche Wege ging, schafft es Patton mit dem Bass Laura immer dezent zu begleiten, manchmal metronymisch wie in oben genanntem Song. 

Die Drums und Gitarrenparts hat Laura Jane Grace selber eingespielt. In den treibenden Stücken wie „Hole In My Head“ erkennbar an Against Me! orientiert, aber viel deutlicher werden Anleihen an den 60s-Rock im Stile Dion oder Eddie Cochran oder an Jonathan Richman erkennbar, dessen musikalische Orientierung in den 1990er Jahren diesen Bogen ebenso schlug.

In der Vielfalt der musikalischen und textlichen Ausdrucksweise liegt die Stärke des Albums. Wer bei Laura Jane Grace immer noch ein Punkalbum im Stile von Against Me! erwartet, wird enttäuscht werden. Against Me! sind mit Sicherheit geprägt durch Laura Jane Grace. „Hole In My Head“ ist aber mehr als das Soloalbum der Frontfrau einer Punkband. Sie hat erneut etwas Persönliches erschaffen, Songs, die sie und ihr Leben widerspiegeln und tiefes Verständnis für Leben offenbaren. 

Diskografie
  • Heart Burns (EP, 2008)
  • Bought To Rot (2018)
  • Stay Alive (2020)
  • At War With The Silverfish (EP, 2021)

Fazit

8.7
Wertung

Laura Jane Grace veröffentlicht erneut ein musikalisch abwechslungsreiches Album, angesiedelt zwischen Punkrock, Sixties und Akustik. Ihre Auseinandersetzung mit dem Leben, mit den Schwächen und Stärken der eigenen Erfahrungen und ihre Offenheit ihre eigene Menschlichkeit in allen Nuancen darzustellen, machen dieses Album auch lyrisch wertvoll. Und vermittelt in einer scheinbar gefühllosen Welt Zuversicht: „I won’t learn to feel less!“

Frank Diedrichs