Beseelt und mit neuem T-Shirt im Gepäck verlasse ich den Club nach 90 Minuten der Hauptband wieder. Am Hauptbahnhof angekommen gönne ich mir noch ein belegtes Baguette zum Abendessen, um dann festzustellen, dass keine Bahn mehr zu meinem Campingplatz fährt. Ups. Also acht Kilometer mit von meiner liebsten Chipotle-Sauce komplett ausgetrocknetem Mund zu Fuß laufen. Auf den ersten Metern fährt gleich ein Nachtbus an mir vorbei, der mich auch zum Ziel gebracht hätte. Nochmal ups. Mit meinem Handy als einzige Orientierung in der Hand beginnt meine nächtliche Odyssee. Natürlich verlaufe ich mich. Beim ersten Mal laufe ich über einen dunklen Friedhof, das einzige Licht spenden mir ein paar brennende Teelichter. Herrlich, genau so hatte ich mir das vorgestellt. Aber es kommt noch schlimmer: Am Fuße eines Bergs stelle ich fest, dass ich eigentlich auf dem Weg AUF dem Berg sein sollte.
Auf welch geniale Idee komme ich also? Ich klettere, anstatt zurück zum normalen Weg hinauf zu laufen. Nach mehrmaligem Ausrutschen und der Feststellung, dass der Berg deutlich höher und steiler ist als gedacht, gelange ich nach oben, nur um festzustellen, dass hier kein Weg ist. Im Gedanken, dass ich bald wieder auf normalen Pfaden wandern könnte, kämpfe ich mich durch dorniges Gestrüpp, gelange aber schließlich zur Erkenntnis, dass ich mir falsche Hoffnungen mache. Also wieder runter. Dummerweise finde ich die Stelle, an der ich hochgekraxelt bin, nicht mehr. Überall scheitere ich an Dornen, stürze fast in die Tiefe oder hänge in Büschen fest. Nach mehrfachen Überlegungen, ob ich meine verbleibende Akkuladung lieber zum Verfassen meines Testaments oder zum Rufen der Feuerwehr nutzen sollte, finde ich schließlich doch noch den Ausweg. Mit den Nerven am Ende und todmüde erreiche ich schließlich um halb zwei mein Zelt, wo mir meine Fitness-App süffisant mitteilt, ich hätte mein Schrittziel für heute erreicht. Immerhin etwas.
Nach vier Stunden herrlichstem Schlummern bei fünf Grad Außentemperatur fahre ich weiter mit dem Bus nach Bremen. Dort verbringe ich einen wunderbaren Tag mit einer ehemaligen Kommilitonin, bei der ich mich auch duschen und frisch machen kann (Notiz: Mein Körper sieht nach der gestrigen Klettertour aus wie das Gesicht von Freddy Krueger). Am Abend begebe ich mich in den Bremer Tower: Ein kleiner, uriger Club ohne wirklichen Backstage, was das Umbauen extrem verkompliziert. FJØRT liefern die selbe fantastische Show wie am vorigen Tag, das Publikum ist aber ziemlich verhalten. Als kurz vor Schluss der Opener und Titeltrack des ersten Albums, „D’accord“, ertönt, erinnere mich daran, wie ich diesen Song das erste Mal hörte und er meine Vorstellung von Musik komplett auf den Kopf stellte. Ich werde so emotional, wie ich es wohl noch nie bei einem Hardcorekonzert war. Um ja keine Vorlesung in der Uni zu verpassen, lasse ich die Show in Rostock aus und nehme noch um ein Uhr nachts den Bus nach Hamburg zurück. Nach drei Stunden in meinem Bett verpasse ich beinahe meinen Wecker, hetze durchgeschwitzt und verpennt zu meinem Institut – nur um vor verschlossenen Türen und einem Hinweis, die Dozentin sei erkrankt, zu stehen. Na toll.