Konzertbericht: Milliarden bei den Filmnächten am Elbufer

Menschen, die singen und im Regen tanzen, eine viel zu große Bühne und Milliarden mittendrin. Das ist alles ganz komisch und so ungefähr sollte mir das Konzert am Dresdner Elbufer im Gedächtnis bleiben.

Vor 1 ½ Jahren war ich das letzte Mal auf einem Konzert mit stehenden und miteinander tanzenden Menschen und irgendwie habe ich das auch etwas verlernt. Damit bin ich wohl sicherlich nicht allein. Nun bin ich auf dem Weg zum Milliarden Konzert, welches bei den Filmnächten in Dresden stattfindet. Ohne groß alles vorwegzunehmen: es wird ein komisches, aber hervorragendes Gefühl werden und das liegt nicht nur daran, dass das Konzert bereits um 18 Uhr startet.

Angekommen schnell noch einen überteuerten Wein reingeschüttet, das Regencape übergestülpt und eine schiere Unsicherheit verspürt, welche sich mit Verwirrtheit mischt. Überall stehen Stühle vor der Bühne, jedoch ist genug Platz für eine sich bewegende Masse, wie geht man jetzt damit um? Viel Zeit für Gedanken bleibt jedoch nicht, denn schon steht der Support auf der Bühne. No King No Crown sind eigentlich zu dritt, allerdings ist Sänger Rene heute allein auf der riesigen Stage und sieht als One-Man-Show mehr verloren aus, als wirklich den Support zu kennzeichnen. Schnell überrascht er jedoch positiv mit stark beruhigten Folk-Rock, welcher selbst Ed Sheeran beeindrucken würde. Das kommt beim noch spärlichen Publikum gut an. Zwar sind No King No Crown musikalisch anders als Milliarden, jedoch ist es wunderbare Musik für die regnerische halbe Stunde.

Die Umbaupause ist dementsprechend schnell vorbei und der Hauptact steht auf der Bühne. Milliarden kommen ebenso minimalistisch daher. Fehlender Backdrop aufgrund der türmenden Kinoleinwand, ein paar Standleuchter und größere Scheinwerfer. Ab hier nimmt der Abend seinen sehr befreienden und aufregenden Lauf. Dabei fängt das Set eher gemächlich an. Drei recht ruhige Songs, ohne viele Ausbrüche. „Schuldig sein“ fungiert als ziemlich gutes Intro, welches allerdings in einem wenig beleuchteten ,engen Raum besser funktionieren würde als bei taghellem Elbufer. Direkt fällt auf, auch das Publikum ist sich unsicher, was den großen freien Platz vor der Bühne angeht. Darf man jetzt mit den anderen tanzen? Darf ich einen Moshpit eröffnen? Darf ich mich überhaupt hinstellen? Eine gewisse Gehemmtheit ist spürbar, sie wird jedoch mit den Worten „Es folgt ein Liebeslied - „Oh chèrie““ brachial beendet. Auf einmal bricht die Zurückhaltung aus allen heraus und verschwindet in der kalten Abendluft. Man sieht Moshpits, Menschen, die in nassen Regencapes tanzen und lauthals singen oder schreien. Es ist wie das Ende eines schnulzigen Hollywood-Dramas, dass sich nur wesentlich besser anfühlt. 

Die Setlist ist dabei bunt gemischt. Fast alles vom neuen Album findet Platz und die alten Platten kommen ebenfalls nicht zu kurz. Auch die Abwechslung ist jeder Zeit gegeben, auf schnelle Songs und viel Energie folgt Melancholie und die damit einhergehende Verschnaufpause. Alles in allem eine gut zusammengefügte Setlist, voll mit Klassikern und Überraschungen.

Bis hierher wirkt es wie eine 08/15-Show ohne wirkliche Höhen und Tiefen. Jedoch sind es wie so oft die Menschen auf der Bühne, welche ein Konzert auszeichnen. Sänger Ben und Keyboarder Johannes stehen selbst bei ruhigen Songs nicht still, sondern tanzen ausgelassen, genießen die Musik und schreien sich die Seele aus dem Leib. Sie haben Spaß an verkorksten Eminem-Coverversuchen oder springen von einer Box in eine wartende Menschenmenge. Ben wechselt dazu ab und an in einen ernsten Ton und zeigt klare Kante gegen Ungerechtigkeit und Intoleranz. Vor allem zum Thema Gendern fällt ein Satz, welcher sich in die Köpfe brennt: „Meine beste Freundin heißt Heinrich“. Ebenso markant „Vor meinem Haus sitzt ein Obdachloser, ich sehe ihn jeden Tag, er wird immer dünner“, worauf der Song „Die Toten vom Rosenthaler Platz“ folgt. Diese Momente gehen ins Mark, erschüttern, machen emotional oder sogar wütend. Sie lassen aber auch die Sympathie steigen und bringen Band und Zuschauer:innen zusammen, obwohl eine zwei Meter hohe Bühne sie trennt.

Das Konzert endet auf einer hohen Note, welche vor allem durch den Song „Milliardär“ noch einen ordentlichen Energieschub bekommt. Abschließend kann man also sagen, dass der Abend ausschließlich Höhen hatte, für Tiefpunkte war auch keine Zeit. Milliarden haben mal wieder gezeigt, warum sie eine der wirklich guten Livebands dieses Landes sind, egal ob durch Witz, Energie, Sympathie oder auch ernste Momente.

Meine erste zusammenfassende Reaktion war, dass ich laut sagte „EY, WIR HABEN GERADE EINE NORMALES KONZERT GESEHEN!“ und das nach 1 ½ Jahren! Dieses Gefühl wird noch lange bei allen Leuten bleiben, welche an diesem Abend vor der viel zu großen Bühne im Regen getanzt haben.