Neben der physischen und psychischen Belastung, die die Krankheit für den Musiker bedeutet, gingen damit auch finanzielle Sorgen einher. Denn das deutsche Versicherungssystem für Künstler:innen birgt in Fällen wie diesem seine Tücken:
“Dadurch, dass ich dann ausfiel, flog ich auch direkt aus der KSK (Künstlersozialkasse) raus. Wenn du kein Geld mehr verdienst, weil du zum Beispiel keine Gigs mehr hast, fliegst du dann in kürzester Zeit raus. Das heißt: du wirst krank, dann gibt's kein Geld mehr, dadurch fliegst du aus der Krankenkasse raus. Das ist auch ein paar Kollegen von mir passiert. Einer hatte einen Schlaganfall und 'Guten Tag!' — ist er auch rausgeflogen. Wenn du nicht mehr genug Geld verdienst, bist du auch kein Künstler mehr — fliegste' raus. Soweit zu der deutschen Versicherungslage für Künstler”, kritisiert der Betroffene. Hier sieht er auf jeden Fall Verbesserungsbedarf, gerade da durch Corona viele Künstler:innen kein Geld mehr verdienen konnten. Wäre nicht sein Job in der Musikschule gewesen, hätte es für Peter und die Musik düster ausgesehen. Und auch die Tatsache, dass er weiter seinen Job ausüben durfte, war keine Selbstverständlichkeit.
“Ich konnte überhaupt nur weitermachen, weil [sein damaliger Chef] mich fragte, ob ich mir vorstellen könnte, weiterhin Unterricht zu geben. Er selber hatte damals 'ne Lehrerin, die nie selber vorgespielt hat. Ich hatte Glück, dass er mir das ermöglicht hat. Er meinte, man kann das ausprobieren: 'Wir checken das und wenn keine negativen Rückmeldungen kommen von Schülern oder Eltern, dann kann man das so weitermachen.' Das war eine Riesensache, die mir quasi den Kragen gerettet hat.”
So begann also sein Leben als Basslehrer, der selber nicht mal mehr in der Lage war, das Instrument zu halten. Zunächst vielleicht eine seltsame Vorstellung für Leute, die es anders kennen. Ich muss aus eigener Erfahrung berichten, dass ich das gar nicht seltsam fand. Ich habe damals in der fünften Klasse bei Peter angefangen und für mich war es ganz selbstverständlich. Wieso denn auch nicht? Er hat ein beeindruckendes musikalisches Wissen, ist lustig, nett, entspannt und kann dir die Töne aus Liedern, die du selber mitbringst, einfach heraushören. Er bringt dir gerne Theorie bei, aber es ist auch kein Problem, wenn du keine Noten lesen kannst. Für mich hätte es keinen besseren Basslehrer geben können. Doch nicht alle Schüler und Eltern haben das so gesehen, wie Peter zu meiner Erschütterung berichtet:
“Ich hatte dann natürlich neue Schüler und deren Eltern und mein Chef meinte einmal: 'Ach übrigens, du siehst, den meisten schlägt das Gesicht erstmal nach hinten weg.' Da sitzt dann so ein Typ und der sitzt im Rollstuhl. Was ist das denn für Einer? Und der soll Unterricht geben? Die Leute sind absolut perplex. Mein Chef hat sie dann immer darauf vorbereitet: 'Der sitzt im Rollstuhl, beißt aber nicht'. Mit sowas kann man nur mit Humor umgehen," ergänzt Peter. "Und nebenbei musste mein Chef auch oft bemerken: 'Ihr braucht keine Angst zu haben, das ist nicht ansteckend.' Das ist interessant, weil ich dachte 'Hä?' - wie kann man denn denken, dass im Rollstuhl sitzen ansteckend sei? Aber es gab tatsächlich Leute, die meinten: 'Oh ja, ein Glück'. Bei den meisten ging es sehr gut, aber ein Teil der Schüler hat sich direkt abgemeldet. Aber der Großteil hat gesagt, der sitzt im Rollstuhl, aber der lächelt noch, der kann ja noch reden — scheint ja nicht ganz so doof zu sein. Und wenn's um Musik geht, kann ich lange erzählen.”
Trotz der Umstände konnte Peter mit seinem Bassunterricht viele angehende Bass-Spieler von dem Instrument überzeugen, wie ich selber erleben durfte. Das Lebensgefühl, was er selbst mit der Musik verbindet, ist auch seine Quintessenz für das Lehren der Musik:
“Letztendlich versuche ich eigentlich nur die ganze Zeit, Wissen zu vermitteln und vor allem den Spaß am Instrument. Es gibt Lehrer, die sagen: 'Du kannst keine Noten, dann kannst du auch nicht spielen.' Ich hab' das zwar alles gelernt, aber ich hab' im Studium auch gelernt: Wer zu sehr an Noten klebt, der macht keine Musik. Die Leute, die nur in die Noten starren, denen fehlt der musikalische Antrieb bei der Sache. Überleg dir mal Stevie Wonder, der ist blind, spielt aber wie ein Gott. Jimi Hendrix kann keine Noten... Viele [bekannte Musiker], die keine Noten brauchen. Noten sind für Profis 'ne Erinnerung, um schnell neue Stücke zu spielen. Ansonsten sind Noten nichts anderes als 'ne externe Festplatte ... Ja, ich weiß, dass das sehr umstritten ist unter der Lehrerschaft, aber ganz ehrlich: Deswegen sage ich auch nie, dass ich Lehrer bin. Ich bin Musiker. Ich vermittle ein paar Tricks und Abkürzungen und versuche, Spaß zu vermitteln. Weil, wenn Musik keinen Spaß macht, warum machst du sie dann?”
Mit dieser Einstellung lebt und lehrt Peter und das Ergebnis kann sich sehen lassen. Zwei seiner ehemaligen Schüler hat er derart überzeugt vom Bass-Spielen, dass diese jetzt beispielsweise seine Schüler:innen an der Musikschule übernehmen:
“Die Schüler lernen als erstes: a) es macht Spaß, b) im Gegensatz zur Klassenarbeit: keine Sau übt, c) kann ich nicht, gibt's nicht: Es wird vorgesagt und abgeguckt, gecheated, und es wird nicht gelangweilt. Und auf die Weise kommen wir weiter. Also ich nicht mehr, aber die. Die besten Beispiele dafür sind zwei Ex-Schüler von mir, die jetzt als meine Nachfolger an der Musikschule unterrichten. In dem Augenblick kann ich nicht mehr auf mich selber stolz sein, aber auf das, was meine Schüler an Musik machen. Da kann ich dann stolz sein und sagen: 'Da sind ein paar Leute, denen macht Musik wirklich Spaß.' Das ist im Grunde so dieser kleine Strohhalm, an dem ich mich festklammer.”
Auch wenn er nicht mehr selber vorspielen kann, schafft Peter es, vielleicht auch gerade wegen der Krankheit, eine entspannte Atmosphäre zu schaffen, in der sich jeder wohlfühlen kann. Das erklärt er so:
“Ich versuch das auch entspannt zu machen, weil gespannt oder zerspannt bin ich ja schon privat, das brauche ich ja nicht zu vermitteln. Vermitteln kann ich eigentlich nur das Positive, das Freundliche.” Und dass er das hinbekommt, kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen, wenn ich mich so zurückerinnere.
Peter erklärt, er könne mit der Musik nicht weitermachen, aber er könne sie abstrakt machen. Am wichtigsten dabei ist für ihn, den Spaß zu vermitteln:
“Wenn du Spaß hast, spielst du gerne, spielst mehr, spielst besser. Nicht müssen. Möchten, wollen, können. Du musst nicht der höchste Virtuose sein, um Musik zu machen. Das ist kein Ziel. Ziel ist, mit Musik im Leben glücklich zu sein.”
Und dieses Gefühl steht auch in seinem privaten Alltag an erster Stelle:
“Durch meine Krankheit kommst du ziemlich schnell auf den Trip zu sagen: “Ich weiß nicht was mir die Zukunft noch bringt, aber ich lebe jetzt. Heute lebe ich, was später ist, weiß ich nicht. Ich lebe auch nicht in der Vergangenheit. Was ich erlebt habe ist schön, aber jetzt ist dran. Jetzt, wenn wir gleich durch sind, höre ich wieder Musik. Ich kann es für mich genießen und kann versuchen diesen Genuss an andere weiter zu vermitteln. Und ich freue mich über jeden, der da 'ne gute Zeit hat. Angefangen mit mir selber. Pläne — weiß ich nicht. Kann sein, dass ich morgen", er macht eine kurze Pause, dann fährt er fort: "...Was auch immer. Aber heute freue ich mich, dass die Karin da ist, dass wir uns mal wieder sehen, dass ich heute lebe.”
Da kommt seine Frau Karin herein, die ich noch von damals kenne, weil sie immer mal bei den Unterrichtsstunden dabei war und Peter bei verschiedensten Sachen geholfen hat.
“Wir haben's schwer, aber wir haben Disziplin”, wirft sie ein, als sie nach Hause kommt und ins Gespräch mit einsteigt. “Was soll man machen, 'ne?”
Die beiden witzeln herum und man merkt direkt, wie glücklich sie sind, trotz aller Umstände. Und man sieht, wie ein Lächeln sein Gesicht erfüllt, sobald sie hereinkommt. Die Verbundenheit des Ehepaars ist selbst über Zoom fassbar.
Musik als Lebenselixir, als Überlebenstraining, als Strohhalm, an dem man sich festhalten kann. Letztlich als Grund, weiterzuleben — neben Familie und Freunden. Das ist nicht nur für Peter als Musiker möglich. Er zieht den Vergleich zu Menschen, die an Demenz erkrankt sind.
“Demente reagieren positiv auf Musik, sowohl von der Stimmung als auch Erinnerungen, die wiederkommen können. Oder auch auf Gedichte. Ich bin zwar nicht dement, aber bei mir wirkt es auch.”
Alles in allem lässt sich nach dem Interview sagen, dass Peter wohl den besten Weg gefunden hat, für sich mit der Krankheit umzugehen. Er hat, so gut es eben geht, daran festgehalten, was ihn ausmacht und glücklich macht. Mit Hilfe seiner Familie und seiner Freunde und der Musik hat er die schwierigen Umstände, denen er durch die Krankheit ausgesetzt ist, angenommen und das Beste daraus gemacht. Das konnte er unter anderem auch durch einige Vorbilder aus der Musikgeschichte.
“Dieser eine Sänger von einer amerikanischen Metalband, der rollt im Rollstuhl, nachdem er in LA mit drei Kugeln in der Brust angeschossen wurde, auf die Bühne und singt weiter Metal.” Ich schätze, er meint hier Jeff Becerra und Possessed, der sich nach dem Unfall zunächst zurückzog, aber einige Jahre später trotz Querschnittslähmung weiter Musik machte. “Oder Phil Collins... oder ganz alt aus den 60er Jahren, Small Faces. Der Bassist, Ronnie Lane, der hat damals in den 70ern, 80ern MS bekommen, da waren die noch nicht so weit wie heute — der hat abstrakt auch weiter Musik gemacht. Das sind so Leute, da denke ich mir, wenn die das können, kann ich das auch. Warum soll ich aufgeben, wenn ich noch nicht aufgegeben bin?”
Abschließend fasst er noch zusammen, wie er das Ganze sieht:
“Die Musik und dieses Lebensgefühl, das ist geblieben, auch, wenn ich krank bin. Das ist die Hilfe mit der ich weiterlebe. Meine Frau, meine Söhne, meine nähere Umgebung und die Musik. Ich kann Musik als Stimmungs-Aufheller benutzen, tu ich auch. Ich kann sie benutzen, um Leute interessiert zu machen und interessiert zu halten und genau das ist diese Sache: ob ich behindert bin oder nicht — Scheiß drauf!"