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Idles und „Tangk“: Liebe als Entschuldigung?

Ihre neue Platte bezeichnen Idles bedeutungsschwanger als ihr „Love-Album“ – und wollen sich trotzdem nicht verändert haben. Aber sollte man sich in Beziehungen nicht miteinander entwickeln?

Manchmal scheinen Pressetexte und Promo-Moves etwas arg berechenbar. Linkin Park (oder ihre PR-Agentur) zum Beispiel waren sich bereits seit ihrem dritten Album „Minutes To Midnight“ offenbar sehr bewusst, dass ein relevanter Teil ihrer Fans immer noch im Nu-Metal des Jahr 2000 hängengeblieben war und deswegen von dem durchaus wandlungsfähigen kalifornischen Alternative-Sextett auch über 15 Jahre später immer noch Scratches, Gitarren und vor allem Rumgeschrei von Chester Bennington verlangte. Die Band setzte deswegen im Marketing jeder neuen Platte immer mindestens einmal das Argument, auf dem Album sei einer ihrer härtesten Songs jemals – wenngleich das natürlich eigentlich niemals auch nur annähernd repräsentativ für den Gesamtsound der Platte war. Von „Blackout“ auf „A Thousand Suns“ teilte die Band so zum Beispiel ein Video aus dem Studio, in dem Bennington beim Aufnehmen der gutturalen Gesangsteile zu hören ist – das elektronische Klangfundament und den von Mike Shinoda, melodisch-klaren C-Teil konnte man so geschickt ausblenden. Das Anpreisen des nicht einmal zweiminütigen „Victimized“ in der Kampagne zum Nachfolger „Living Things“ wirkte besonders deplatziert. Der 2014 erschienene Nachfolger „The Hunting Party“ wiederum konnte mit eindeutig bandbasiertem Instrumentarium und Rock-Stargästen wie Tom Morello oder Daron Malakian dem Wunsch nach „unpoppiger“ Musik sehr gut in die Karten spielen, die Promo-Kampagne wirkte dann aber doch wieder allzu transparent: Chester Bennington verglich die recht seichten Alternative-Songs auf der Platte mit „Death Metal“ und Mike Shinoda fühlte sich plötzlich in der Position, die ganze restliche Welt der Rockmusik als „pussified“ zu bezeichnen. Also wirklich Leute, why is everything so heavy?

Damit sind wir endlich bei Idles angekommen, einem der international völlig zurecht gefeiertsten Post-Punk-Auswüchse der letzten Jahre, der mit „Tangk“ bereits ihr fünftes Album in nur sieben Jahren veröffentlichen. Dabei rührt einen etwas Unbehagen, schaut man in die Pressetexte: Denn dort kann die Band die Bezeichnung ihres neuen Albums nicht ankündigen, ohne gleichzeitig beschwichtigend erklären zu müssen, dass diese Konnotation natürlich nicht bedeute, dass die Band eine „Sammlung zuckriger Schmusepop-Nummern“ fabriziert habe. Im Gegenteil, so heißt es weiter, „Tangk“ „hätte immer noch genau die Energie und Wut, für die man Idles kennt und liebt.“ Linkin-Park-Marketing-geschulte Musikkonsument:innen werden hellhörig: Will hier eine Band abfangen, dass ihr musikalischer Stil eigentlich nicht mehr so hart klingt wie auf den ersten Alben? Versuchen Idles zu verschleiern, dass sie eigentlich lieber Pop-Musik machen würden?

Diese Angst scheint im Kontext der Band eigentlich unbegründet, dürften Idles doch auch bereits mit ihren bildgewaltigen Post-Punk-Manifesten eine offene Zielgruppe bedient haben, die interessanten und neuartigen Stilrichtungen grundsätzlich nicht verschlossen ist. Die Musik auf „Tangk“ – und damit kommen wir endlich zum Kern dieses Textes – lässt indes erkennen, warum die sie umgebende PR-Kampagne möglicherweise direkt Schutzwälle um sich herum errichtet. Denn auch wenn die „Sammlung zuckriger Schumusepop-Nummern“ wohl eher unter die Argumentationsklasse Strohmann fällt, sind Idles auf ihrer neuen Platte soundtechnisch doch ein Stück zahmer geworden. Dass sie dabei auf einem Track mit James Murphy alias LCD Soundsystem einen für ihre Sparte sehr ungewöhnlichen Featuregast haben, ist dabei höchstens Indiz, aber nicht Kern des Ganzen, denn „Dancer“ zählt trotz integrierter Streicher-Samples noch zu den Tracks auf „Tangk“, die vor allem vom gewohnt monoton wummernden Idles-Bass vorangetragen werden. Eine plakativ benannte Nummer wie „Pop Pop Pop“ hingegen ist schon eher bezeichnend für einige der klanglichen Neuheuten dieser Platte, denn Rhythmus gibt hier nur das wenig massige Schlagzeug. Ansonsten fundiert der Track auf flächigen Instrumentals und einem Joe Talbot, der eher im Sprechgesang verharrt. Die Monotonie, die Idles schon ewig zu ihrem Prinzip erhoben haben und die eine der wenigen Konstanten im ansonsten weltweit so diversen Post-Punk-Genre sein dürfte, weiß hier nicht so richtig, wo sie eigentlich hinwill. Von diesen Tracks gibt es mehrere auf „Tangk“, und sie zählen leider nicht unbedingt zu den Highlights der Platte. Auch ein „Grace“ verfällt etwa diesem Duktus und klingt mit seinem saumseligen Gesang zwar ungewohnt im Idles-Universum, deswegen aber nicht unbedingt aufregend. „No God / No King / I said Love is the Thing“ singt Joe Talbot darauf und beschwört so inhaltlich als auch musikalisch eine Version von Idles, die weniger angriffslustig, aber dafür auch weniger ekstatisch sein will.

Sinn und Gipfel von Idles-Tracks, die sich immer durch ihre wummernden Dauer-Dampfressen-Instrumentals ins Gehirn frästen, waren ja nämlich eigentlich mal die klimaktischen Highlights, die das stetige Rotieren um die selben Elemente zur spannenden Steigungskurve machten. Dieses Handwerk beherrschte die Band immer meisterhaft, und so sind auf „Tangk“ dann ehrlicherweise doch die Momente am besten, an denen Idles noch eher so klingen wie auf ihren früheren Alben. Die Single „Gift Horse“ zum Beispiel ist so ein Fall, in dem der völlig freidrehende Refrain einem all seine Spiellust um die Ohren pfeift. „Hall & Oates“ wirkt im Kontrast zu vielen anderen Tracks auf „Tangk“ geradezu manisch rebellisch, erreicht aber dennoch nicht ganz die spielerische Klasse der besten Songs von etwa „Joy As An Act Of Resistance“.

Die schönsten Lichtblicke auf „Tangk“ sind dann aber die Songs, auf denen das „Love“-Konzept, das ganz offensichtlich nicht nur lyrische Konsequenzen hat, dann doch mit Tracks aufwarten kann, deren Zielführung sich erschließt. Vielleicht ist es wenig erstaunlich, dass es sich dabei um die Songs handelt, in denen man die Menschen hinter den Musikern am greifbarsten erscheinen. „Jungle“ zum Beispiel greift auf gewohnt rotzig klingende Instrumentals zurück, aber kontrastiert das mit einem fast wehmütig klingenden Refrain, in dem die Phrase „I lost myself again“ geradezu programmatisch klingt. Und „ A Gospel“ ist eine Klavierballade, in der das minimalistisch rotierende Instrumental plötzlich meditativ-melancholisch klingt. Es sind diese Momente, die „Tangk“ dann doch die vorsichtige Rolle eines Wegweisers geben und die wünschen lassen, Idles würden ihre neuen Ideen noch mit etwas mehr Konsequenz und Mut nach vorne treiben – dann könnte man sich auch jegliche Apologie in Pressetexten sparen.

Fazit

7.4
Wertung

„Tangk“ ist weit entfernt von den besten Idles-Platten, aber steht in diesem Vergleich auch Kontrahenten auf absurdem Niveau gegenüber. Dabei täte der Band mehr Vertrauen in ihre Kreativität eigentlich gut – die Anklänge davon sind auf diesem Album aber noch zu zaghaft.

Jakob Uhlig