Speak Easys und „Reefer Songs“: Von Jazz und Drogen

Die Geschichte des Jazz ist untrennbar mit der Kulturgeschichte der USA im 20. Jahrhundert verbunden: der Musik, dem Rassismus - und den Drogen.
Charlie Parker

Jazz entstand um 1900 in den Nachtclubs und Bordellen von New Orleans. Dementsprechend gehörte von Anfang an der Konsum von Drogen untrennbar zur Musik. In diesen Etablissements wurde viel geraucht und getrunken. Die auftretenden Bands waren da natürlich keine Ausnahme. Die nächtelangen Auftritte forderten ihren Tribut: So wurde 1907 Buddy Bolden, einer der einflussreichsten Bandleader dieser Ära, mit der Diagnose Alkoholpsychose in eine Klinik eingewiesen, die er bis zu seinem Tod 24 Jahre später nicht mehr verließ.

Wenig später sollte mit der Sauferei Schluss gemacht werden: 1920 verabschiedete der Senat der Vereinigten Staaten den 18. Zusatzartikel der Verfassung, der die Erzeugung, den Verkauf und den Transport von alkoholischen Getränken verbot. Diese Prohibition führte freilich nur dazu, dass die geschlossenen Kneipen als illegale Speak-Easys wiedereröffneten, beliefert von „Geschäftsmännern“ wie Al Capone und beschallt von Combos, die Jazz spielten. Dieser hatte sich mittlerweile von Louisiana aus nach New York und Chicago ausgebreitet. Die Prohibition scheiterte grandios bei allem, was ihre Fürsprecher versprochen hatten: Die Kriminalität stieg und die öffentliche Gesundheit verbesserte sich nicht. So starb Bix Beiderbecke, der als Kornettist den Jazz der 20er-Jahre maßgeblich mitprägte, 1931 an den Folgen seiner Alkoholsucht – zwei Jahre, bevor die Prohibition aufgehoben wurde.

In den 30ern setzte dafür die Verfolgung von Cannabis-Konsument:innen ein, zu denen auch viele Jazzmusiker:innen gehörten. Bereits um 1910 hatte sich in der Jazzszene in New Orleans eine Reefer-Kultur etabliert, die das Rauchen von Hanf auch in ihrer Musik besang. Songtitel wie „Light Up“ und Cab Calloways „Reefer Man“ sprechen eine eindeutige Sprache. In der vor Rassismus triefenden Medienkampagne, die nun einsetzte, wurde die „Wildheit“ der (schwarzen) Jazzmusik in direkten Zusammenhang mit Cannabis-Konsum gebracht. Im Film „Reefer Madness“ von 1936 endet das Marihuana-Experiment einer Gruppe Jugendlicher erst am Klavier und anschließend mit einem Mord.

Von Louis Armstrong ist überliefert, dass er seinem Manager klagte, die Cannabis-Prohibition erschwere ihm seine Arbeit, denn Gras war Teil seines Kreativprozesses. Dass regelmäßig Mitglieder seiner Band wegen Drogenbesitz ins Gefängnis mussten, war ein zusätzliches Problem. Dennoch rauchte fast jede:r in der Jazzszene Cannabis, nicht nur die Musiker:innen, sondern auch die Fans. Dazu gehörten auch die weißen Hipster, die den Szene-Begriff cool in die Umgangssprache einführten.

Besonders cool war Charlie Parker. Der Saxophonist mit dem Spitznamen "Bird" entwickelte den Jazz seit den 40ern entscheidend weiter – und war schwer heroinabhängig. Nach einem Autounfall erhielt er schmerzstillendes Morphin und kam Zeit seines kurzen Lebens nicht mehr davon los, trotz mehrerer Entzugsversuche, Problemen mit dem Gesetz und seinen Bandmitgliedern, denen er unberechenbar erschien. Es kam vor, dass er die Rechte zu Songs verkaufte, die er noch gar nicht aufgenommen hatte, um seinen nächsten Schuss kaufen und die Studiosession überhaupt spielen zu können.

Unter dem Einfluss von Parker begannen viele Jazzer Heroin zu spritzen. Man schrieb Birds außergewöhnlichen musikalischen Fertigkeiten der Droge zu und experimentierte deswegen selbst damit. Daneben war manchmal der Drogenkonsum auch schlichte Notwendigkeit: Um die langen Auftritte und Sessions durchzuhalten, griffen viele zusätzlich zu Aufputschmitteln. Miles Davis, der in jungen Jahren in Parkers Band Trompete spielte, entwickelte durch den Drogencocktail, den er über Jahre zu sich nahm, Psychosen und akustische Halluzinationen.

Mit der Akademisierung und Professionalisierung des Jazz ab der Mitte des 20. Jahrhunderts wurde der Drogenkonsum nicht mehr gern gesehen: Es ist nun mal schwer, mit einem Junkie vernünftig zu arbeiten. Daneben sorgte auch die Black-Consciousness-Bewegung für ein zunehmendes Bewusstsein bezüglich der Probleme und Folgen von Drogen innerhalb der schwarzen Communities. Aber gerade in der Musikszene ist das Verhältnis zu Alkohol und Drogen immer noch lockerer als im Rest der Gesellschaft und natürlich können auch studierte Profis, wie jeder Mensch, Probleme entwickeln.

Wenn ihr Hilfe im Umgang mit eurem Alkohol- oder Drogenkonsum sucht, wendet euch online oder telefonisch an eine Beratungsstelle, zum Beispiel den Drogennotdienst (030 19237, www.drogennotdienst.de).