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You Me At Six mit „VI“ – Wilder Individualismus statt wildem Individualismus

You Me At Six verkörpern mit ihrem Indie-Rock unnachahmliche Kreationen mit Einflüssen aus allerlei Genres. Das leben die Briten auf „VI“ in ähnlich großem Rahmen aus und klingen dabei doch wieder ganz anders.

Wenn man sich die ersten Singleauskopplungen nicht in chronologischer Reihenfolge anhört, dann ist das erst einmal sehr schwierig. Das zuletzt erschienene „Back Again“ eröffnet der geneigten Zuhörerschaft Raum für allerlei Assoziationen, allerdings nicht dafür, dass es sich hier um die neue Single von You Me At Six handeln könnte. Nein, es ist der derzeit unglaublich angesagte „Feel-Good-Pop-Sound“ à la „Mirrors“ von Justin Timberlake. Dazu will man nicht viele Worte verlieren, nur skippen. Und das lohnt sich.

Der Opener „Fast Forward“ ist ein herrlich grungiger Indie-Punk-Feger. Der Track bringt die zwei Seiten des Quintetts zum Ausdruck. Die beinahe Boy-Band gleiche, rhythmische, melodiöse Seite, gepaart mit dem rotzig kantigen Grunge, mit dem sie ein wenig nach den Pixies klingen. Das macht richtig Spaß und klingt noch eine Spur härter und wütender als je zuvor.

Das folgende „Straight To My Head“ kann man auf jeden Fall in die Kategorie „interessant“ packen. Doch so recht einordnen lässt es sich nicht. Während Sänger Josh Franceschi wirklich absolut alles gibt, sich in den Strophen als hervorragender Sänger behauptet und im Refrain beinahe schreiend performt, klingt das instrumentale Drumherum dann doch mehr, als wäre es bei den Imagine Dragons geklaut.

„Danger“ betritt dann wieder das unliebsame Eis des Mainstreams, doch die Musiker machen ihre Sache wirklich sehr ordentlich. Eine Beschwingtheit, irgendwo zwischen Aloe Blacc und Pharell Williams, gepaart mit dem britischen Charme von You Me At Six, bilden einen Song, der nicht nur den Fans der Band, sondern auch der breiten Masse gefallen könnte. Eines ist aber ganz sicher, der Song lädt zum Tanzen ein und diese Einladung lässt sich schwerlich ausschlagen.

„I O U“ ist dann wieder sehr wunderlich, hört man Franceschi dort doch regelrecht rappen. Es ist nicht übertrieben, „VI“ eine stilistische Platte zu nennen. Haben die fünf Briten sich auf den letzten Alben durch gefühlt sämtliche Richtungen von Rock und Punk gearbeitet, garnieren You Me At Six ihre neuen Songs nun mit verschiedensten Genres.

Besonders an Rap und Pop traut man sich vermehrt heran. In „I O U“ wurde ein sehr eleganter Zwischenweg gewählt, der wieder einmal die instrumentale Wandlungsfähigkeit der Band zeigt, da sie ohne Helferlein den Beat für diesen Song produzieren.

Im Closer „Losing You“ wird darauf dann verzichtet und Franceschi wird nur elektronisch begleitet. Im Grunde nervt der viel zu laut pochende Beat und das ständige Verzerren von Franceschis Stimme, doch genau diese hat in diesem Track eine unglaublich sympathisch charmante Färbung, die einen an das Lied fesselt. Jedoch ist es einfach ein furchtbar schlechtes Zeichen, wenn man sich für das Mögen eines Liedes hasst. Denn im Grunde ist dieser Song genau die Art Song, für die man Bands wie zuletzt Deaf Havanna abgestraft hat: langweilig, anbiedernd und charakterlos. Doch im Unterschied zu diesen langweiligen Pop-Sünden, hat „Losing You“ etwas Besonderes und zwar Charakter. Man kann sich darauf einigen, dass dieser Track an anderer Stelle wohl mehr wohlwollende Beachtung gefunden hätte.

„VI“ macht nicht die gleichen Fehler wie Deaf Havanna und ballert nicht langweiligen Fließband-Pop raus. Nein, You Me At Six experimentieren sehr originell mit, für die Band, neuen Sounds, wie sie es noch nie gemacht haben. Dass das nicht immer gut geht, ist zu verzeihen, da die guten Songs, den einen wirklich schwachen um Welten überragen. Experimentierfreude statt Ausverkauf - leider nicht mehr selbstverständlich.

Fazit

6.4
Wertung

War es in „Back Again“ ernsthaft der Plan wie Justin Timberlake zu klingen? Muss man halt skippen, den Quatsch. Denn was bleibt ist ein wirklich, im positiven Sinne, interessantes Album, das mehrere Stilrichtungen einschlägt, die es eigentlich alle verdient hätten, verfolgt zu werden.

Moritz Zelkowicz