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Vizediktator und „Kinder der Revolution“: Powerpop mit Punkquerelen

Powerpop, der sich dem Punk verweigert, aber so verdammt nah dran ist. Die Berliner von Vizediktator machen Pop mit Punkquerelen, ohne wirklich in dem Genre Platz einzunehmen. Beweisstück A bis Z? Das Debütalbum „Kinder der Revolution“.
Vizediktator Kinder der Revolution Cover

Im Begriff zu sein, Radio Havanna die Show zu stehlen, ist eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Und trotzdem hinterlassen Vizediktator als Support für die Wahlberliner offene Münder. Diese Bühnenpräsenz macht mächtig Eindruck. Kein Wunder bei dieser Musik. Weder Fisch noch Fleisch, weder Punk, noch Rock, noch Pop. Zu brachial und rau für Pop oder schlichten Rock, zu gezügelt und melodiös für Punk. Zum Glück lässt sich in unserer Zeit für absolut alles eine Schublade finden. Für Bands wie Vizediktator gibt es eigentlich den Begriff Powerpop. Allerdings - eine Band wie Vizediktator? Wird sich wohl nicht so leicht finden. Eine Konstante, die man noch woanders findet, ist das melodiöse Schreien, das man in ähnlicher Form auch bei Captain Planet entdeckt. Deren Frontmann Jan Arne von Twistern bringt aber noch mehr Melodie rein. Auch die Instrumente klingen sauberer. Vizediktator spielen ihre Musik einfach sehr dreckig. Wenn dieser Begriff nicht von Antiheld geschändet worden wäre, würde ich gerne „Straßenköterpop“ drauf schreiben, aber so bleibt es bei „dreckig“. Der Unterschied liegt in den Abstufungen, mehr oder weniger dreckig.

Das alles klingt nun ziemlich furchtbar. Ist es aber nicht. Im Gegenteil. Denn diese Jungs haben nicht nur ein gutes Gespür für gute Texte, sondern auch verdammt viel Herz und Haltung. „Halleluja“, schon vorab als Single veröffentlicht, klingt wie ein uneheliches Kind von Rio Reiser. Revolution, macht kaputt was euch kaputt macht, aber gesittet, direkt an der Grenze zur Unsittlichkeit. Das ist nicht nur „Halleluja“, sondern auch ein Credo der Band, kann man zumindest annehmen. Dieser Song fällt wohl eher in die Kategorie „weniger schmutzig“. Textlich irgendwo zwischen Liebe und, wie könnte es anders sein, Revolution. Und allein für diesen Text muss man diese Jungs lieben. Sie sind schließlich immer für die Liebe, genau das, was wir in dieser Zeit brauchen.

Besonders wenn es um politische Begebenheiten geht, legen Vizediktator eine unglaubliche Finesse an den Tag. „Stimme der Verfolger“ schafft es dabei zugleich zu begeistern und zu schockieren. Mit seinem schnellen und regelrecht tanzbaren Rhythmus auf der einen Seite und auf der anderen dieser Text über Flüchtlinge und Nazis. Sie wählen als lyrische Waffe den Vorschlaghammer und führen ihn wie ein Florett. Das ist die wichtige Konstante dieser Platte: lyrische Brillanz.

„Hamburg Schmerzt!“ ist stilistisch ein komplett anderes Kapitel. Die Instrumentals klingen etwas wie bei der deutschen Popband Radiopilot geklaut, nur eben dreckig. Und dieser Text über großen Verlust schafft es, innere Wunden aufzureißen und wehzutun, einfach ganz groß.

Vizediktator machen ein Album voll textlicher Finesse, das auf den ersten Blick so unscheinbar daherkommt, das man aber auf den zweiten Blick einfach lieben muss. Wo man musikalisch auf authentischen Schmutz gesetzt hat, ist man textlich sehr gut aufgeräumt und vertritt, was man viel zu oft vermisst: Echtes Herz und Haltung.

Tourdates

Fazit

7.9
Wertung

Wahre Liebe, wenn auch auf den zweiten Blick. Wenn man durch diese schmutzige Fassade geblickt hat, entdeckt man wahre Schönheit. Und diese hat nicht weniger als den Titel „Album der Woche“ verdient.

Moritz Zelkowicz