Van Holzen und „Regen“: Neue Sachlichkeit

Van Holzens zweite Platte ist der fast schon zwingend erforderliche Adoleszenz-Prozess einer jungen Band, die zu früh im Rampenlicht stand, um sich durch Tiefgründigkeit einen Namen zu machen. „Regen“ vollzieht diesen dankbare Entwicklung aber nicht ohne Schwächen.

Dass Authentizität in der Bewertung von Popkultur einen wesentlichen Faktor ausmacht, lässt sich heute prägnant an einem Superstar wie Ed Sheeran beobachten. Der wurde innerhalb kurzer Zeit wohl nicht zuletzt deswegen einer der gefragtesten Künstler der Welt, weil seine simplen Singer/Songwriter-Stücke wie aus dem Leben gegriffen erschienen und Sheeran trotz seines kometenhaften Aufstiegs stets der nette Typ von nebenan geblieben war. Ähnlich verhält es sich im deutschen Hip-Hop, einer Szene, deren Künstler auch gerne daran bemessen werden, wie kredibil ihre Aussagen im Kontext ihrer tatsächlichen Lebenssituation sein mögen.

Unter diesem Gesichtspunkt standen Van Holzen vor zwei Jahren mit ihrem Debütalbum „Anomalie“ vor einer komplizierten Herausforderung – nicht nur, weil die erste Platte des blutjungen Ulmer Trios gleich unter der dubiosen Behaftung eines Major-Deals erschienen war, sondern auch, weil das Album bereits in seinem Grundkonzept gar nicht darauf ausgelegt war, glaubwürdige Storylines zu erzählen. „Anomalie“ war eine Platte voller arrogantem Hass, warf düster-scharfen Basslinien gallespuckende Bitterkeitsphrasen entgegen und entfaltete gerade durch seine artifizielle Allmacht seinen ganz speziellen Reiz. Die Rezeption des Werks erwies sich als umstritten: Während eine Front das tosende Aufplustern des Albums als konzeptuell-künstlerischen Kniff wahrnahm, sah die Gegenseite in Van Holzen nur die Selbstüberhöhung unreifer Teenager, die es nicht besser wussten.

„Regen“ reagiert auf diesen Diskurs mit entscheidender Entwicklung. Van Holzen konzentrieren sich auf ihrer zweiten Platte auf ihre inneren Emotionen, bei denen – abseits der immer noch mit maximaler Dramatik inszenierten Musikvideos - von angelegter Verfremdung keine Rede mehr sein kann. Die Debüt-Single „Alle meine Freunde“ beschreibt so etwa pointiert die Sorgen der Generation Y, in denen sich die immer noch sehr jungen Van Holzen nur zu gut wiederfinden dürften: „Ich und meine Freunde haben Angst/ weil jeder von uns alles haben kann/ Ich glaube nicht daran“. Der Titeltrack setzt sich dagegen mit der inneren Sorge des Steckenbleibens auseinander und beschreibt seine Beklommenheit mit düsterer Metaphorik. Van Holzen verfassen ihre Lyrik im Regelfall mit sehr vagem Tonus, machen aber klar, dass Selbstreflektionen des eigenen Gefühlszustandes den kontinuierlichen Kernpunkt darstellen. Dem vormals ausgerufenen fiktiven Kreuzzug zum „Herr der Welt“ stellt sich das Trio so entschieden entgegen.

Diese entscheidende Kehrtwende macht es fast schon notwendig, dass Van Holzen sich auch klanglich neu orientieren. „Regen“ wird trotz einiger Ausreißer von einer neuen Schlichtheit bestimmt, die im deutlichen Kontrast zu den martialischen Riffs und donnernden Drum-Pulsen von „Anomalie“ stehen. „Irgendwas“ ist zum Beispiel ein simpler Garage-Groover, in dem jede klangliche Komponente klar und deutlich auszumachen ist. Eine ähnliche Kerbe schlägt das unter diesem Gesichtspunkt sehr passend benannte „Legere“ ein, das erst ganz zum Schluss den Reverb-Regler etwas nach oben dreht. Songs wie diese sorgen dafür, dass Van Holzen deutlicher als Menschen hinter der Soundwand erscheinen. Musikalisch sind sie trotzdem der Schwachpunkt von „Regen“, denn der Platte merkt man deutlich an, dass sie ihre großen Momente immer dann hat, wenn Van Holzen doch zu produktionstechnischen Extravaganzen abbiegen. Das bereits erwähnte „Alle meine Freunde“ ist mit seinem prägnanten Dur-Moll-Umschwung zum Beispiel der vielleicht eindrücklichste Song, den die Ulmer je gemacht haben – hier geschieht die erdrückende musikalische Umsetzung auch nicht auf Kosten der Authentizität, sondern unterstreicht im Gegenteil umso heftiger die beklemmende Botschaft des Songs. Ein weiterer großer Moment von „Regen“ ist das schaurig-melancholische „s/w“, das seinem klagenden Refrain mit im Hall versinkender Gitarre ein angemessenes Klangfeld verleiht. Solche Momente der lodernden Nachdenklichkeit funktionieren auf Van Holzens zweiter Platte auch besser als ein Song wie „Schrammbock“, der mit seinen wütend gebrüllten Vocals eher gezwungen brutal als tatsächlich eindrücklich wirkt.

„Regen“ ergibt so eine Sammlung vieler alleinstehender Momente, die in ihrer differierenden Beschaffenheit und Qualität ein Werk der Mannigfaltigkeit zusammenhalten. Unterm Strich bleibt „Anomalie“ trotz wichtiger Schritte und teils überragenden Highlights des Nachfolgers das stimmigere und eindrücklichere Werk, weil Van Holzens Eigenständigkeit und Gesamtkonzipierung dort wesentlich schlüssiger blieben. Eine schlechte Platte ist „Regen“ deswegen keineswegs, aber Van Holzen täten gut daran, auf einem Nachfolger die deutlichen Qualitäten dieses Albums herauszufiltern und weiter zu vertiefen.

Fazit

6.6
Wertung

Van Holzen wagen den spannenden, aber nicht zwangsläufig notwendigen Schritt, in ihrer Musik auch als Personen in Erscheinung zu treten. Das führt zu einem Werk mit wesentlich mehr charakterlicher Tiefe und Diversität, aber auch zu leichter Unentschlossenheit einer noch nicht vollständig profilierten Band. Dennoch: Wer einen markerschütternden Song wie „Alle meine Freunde“ schreibt, ist noch zu Großem bereit.

Jakob Uhlig
5.8
Wertung

Das Zweitlingswerk entwickelt das eigene Klanggewand der Band weiter und macht dabei einen ganz verrückten Spagat zwischen völlig aus der Zeit gefallenen wirkenden Soundelementen und neudeutschen, jugendmodernen dystopischen Texten. Zumindest Philipp Koch hat hier ganze Arbeit geleistet, indem er die 11 regulären Tracks mit reichlich dynmaischen Easter Eggs gespickt hat. Wirklich überraschen war jedoch nur der Beginn von „Schrammbock“. Der Rest plätschert in Van Holzen'Schem Desinteresse so daher. Dabei verzapft Frontmann Florian echt passable Texte, die leider über lange Strecken des Albums untergehen oder ihre Wirkung nicht entfalten können.

Merten Mederacke