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The toten Crackhuren im Kofferraum und „Gefühle“: Das ist Kunst und kann nicht weg!

TCHIK aus Berlin sind auf ihrem vierten Album bereit über Gefühle zu reden. Auch wenn es sehr persönlich zugeht, nehmen die Electroclasherinnen dabei mit Recht wenig Rücksicht auf die Gefühle anderer. Das muss und soll absolut nicht jedem schmecken.

Sie sind schon lange im Game und dort weiß Gott keine Unbekannten mehr: TCHIK aus Berlin. Elektrolastiger Sound, dem Herzen brechenden Punk nicht abgeneigt. Nach "Bitchlifecrisis" im Jahr 2019 geht es dieses Mal also um Gefühle. Streng genommen ging es das bisher auch, aber diesmal doch etwas persönlicher und mit weniger Austeilen. Wir haben sie ja alle, diese rätselhaften Zustände namens Gefühle. Sie reichen von Wut, Trauer, Angst bis hin zu Ekstase, Freude oder Liebe. TCHIK nehmen sich diese Palette an Emotionen wie einen Farbkasten im Kunstunterricht vor, befeuchten die Pinsel und malen damit drauf los was das Zeug hält. Das daraus entstehende Bild, eine Mischung unterschiedlichster Gefühlswelten ausgedrückt in 14 neuen Songs, hat viele Seiten, ist freundlich hell am einen und rabenschwarz am anderen Ende. Es erzählt Geschichten, die sowohl selbstkritisch und unsicher daherkommen, als auch diese, die schonungslos den Spiegel vorhalten wollen. Getauft wurde dieses Gemälde also vollkommen zu Recht mit dem Titel "Gefühle", erschaffen von Die toten Crackhuren im Kofferraum, Anno 2021.

Eines der am stärksten aufflammenden Gefühle auf diesem Album sind die persönlichen Gedanken über eigene Unsicherheiten und Ängste. Da ist zum einen "Du könntest geh'n", in dem sich die toten Crackhuren um die Angst verlassen zu werden kümmern. Die damit einhergehenden Zweifel an dem eigenen "gut genug sein" kleiden TCHIK auch auf "Gefühle" ausnahmsweise in ruhigere Klänge, die diesen Gedanken erst den richtigen Ausdruck verleihen. Auch "Ich will dich heulen sehen" ist in diesen Zeiten nicht darauf ausgelegt, jemandem Schmerz zuzufügen, sondern steht im Zusammenhang mit Freudentränen und positiven Emotionen. Die zweite Hauptkomponente auf "Gefühle" prangert an und widmet sich den toxischen Anfeindungen, denen sich Frauen im Jahr 2021 ausgesetzt sehen. "Bewerte mich" behandelt jegliche Oberflächlichkeit, nach der in Zeiten von Tinder und Co. über attraktiv oder unattraktiv entschieden wird und swiped dieses Prinzip provokant vertont nach links. Ciao.

TCHIK treiben dieses Thema in "Bau mir nen Schrank" dann gänzlich auf die Spitze. Frauen können nicht Auto fahren, gehören an den Herd und werden aufgrund ihres Aussehens innerhalb von Sekunden als schön oder hässlich abgestempelt? Schnee von gestern! Dieser Song dreht den Spieß um und feuert mit jeglichen Klischees über Männer zurück. "Ich hab gesagt, du hältst die Fresse wenn ich Springreiten gucke" oder "Dein Aussehen ist mir wichtig, nicht so dein Charakter" sind nur zwei Versbeispiele aus circa drei Minuten Kontra geben. Auch "Ich bin eine Schlampe" schlägt in eine ähnliche Kerbe, die sich wiederholenden Samples von Pietro Lombardi lockern das eigentlich besorgniserregende Thema etwas auf.

 

Die "typische" Musik der toten Crackhuren, wenn man diese denn überhaupt definieren kann, kommt natürlich auch auf "Gefühle" nicht zu kurz. Bereits die ersten drei Songs ("Alles verkacken", "Zurück in der Gosse" und auch "Living The Dream") zeigen der Hörerschaft der Band an, was sie erwartet. Es geht um "Scheiß auf Ideale", die dreckig und nicht sehr angenehm riechende Gosse sowie das tagtägliche Leben in Ostberlin. Auch das klingt alles absolut realitätsnah und ehrlich zugleich. Dass die Musik von TCHIK auf diesem mit Herzblut getränkten Album einen geschmeidigen 90s-Touch annimmt, stört ebenfalls keineswegs . Wer hier Angst bekommt, TCHIK würden durch offen ehrliche Emotionen sowie einem weiterhin elektrolastigen Sound den Bezug zur Punkattitüde verlieren, wird mit "Punkrock hat mir mein Herz gebrochen" eines besseren belehrt. Beziehungsstatus: Es ist kompliziert. Die große Liebe gehen lassen: Ausgeschlossen!

Fazit

7.5
Wertung

Die toten Crackhuren im Kofferraum schütten ihr Herz aus. Das ist nicht nur inhaltlich spannend und hat jede Menge Haltung, sondern klingt mit einem Hauch von 90er-Vibes auch verdammt gut.

Mark Schneider
7.7
Wertung

Nach "Bitchlifecrisis" wird es noch eine deutliche Spur persönlicher, was neben aller textlicher Härte dann doch überrascht. Und es passt so hervorragend. Dank The TCHIk entdecke ich meine Liebe zum Electroclash.

Moritz Zelkowicz