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Tiger Army und „Retrofuture“: Brückenbauer aus San Francisco

Retrofuturismus, das bedeutet Brücken bauen zwischen dem Sound der 50er- und 60er-Jahre und modernen Klängen des New Wave, Psychobilly und Punkrock. „Retrofuture“ ist neben dem Namen des neuen Albums von Tiger Army aber auch das Motto auf ebendiesem.

Nick13, Frontmann und Mitbegründer von Tiger Army, erklärt die Idee hinter dem Album dahingehend, dass die Band ihre eigene Version davon kreiert, wie man sich zur Hälfte des 20. Jahrhunderts wohl den heutigen Sound von Rock 'N' Roll vorgestellt hat. Sich im Nachhinein zur eigenen Musik irgendwelche kreativen Beschreibungen und Erklärungsversuche auszudenken ist unter Musikern bekanntlich so beliebt wie Speiseeis im Hochsommer. Die zu untersuchende Frage ist also, inwiefern der Sound von Tiger Army den Worten und Gedanken ihres Frontmanns gerecht werden kann.

„Retrofuture“ beginnt mit einem Intro, welches die Antwort auf diese Frage zwar schuldig bleibt, dabei jedoch auf ganz andere Art und Weise verwundert. Die Reise durch den Tonträger startet mit Klängen, welche im Kopf Bilder von trockenen Wüsten und dem Schlagwort „MEXIKO!“ erzeugen. Dass das Intro „Prelude Tercio De Muerte“ heißt – wohl kein Zufall. „Beyond The Wall“ serviert dann endlich vollkommene Musik und den ersten Eindruck vom Sound der Gruppe. Die ersten Gitarrenakkorde schwingen genüsslich aus, während Bongos (oder ähnliche Trommelinstrumente) die Klänge begleiten. Nick13 steigt bereits nach wenigen Sekunden mit einer derart passenden Stimme ein, dass man ihm sofort auf die Mailbox quatschen möchte: „Hallo Herr 13, ich weiß, Sie kennen mich nicht. Ich wollte nur schnell gratulieren, Sie haben absolut die für Ihre Stimme passende Musikrichtung gefunden!“. Einfach, weil es mal raus musste. Der Song geht verhältnismäßig ruhig über die Bühne, dreht im Refrain aber ein wenig am Tempohebel und hat Platz für ein ordentliches Solo. Auch der Retro-Aspekt kommt in Form eines deutlich hörbaren Kontrabasses zur Geltung.

Der altmodische Stil von Tiger Army bleibt über das gesamte Album unangetastet. Hin und wieder fühlt man sich an Elvis erinnert, manchmal an Johnny Cash. Der Rock 'N' Roll der frühen zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts ist dauerhaft präsent. Wie sieht es dabei mit der Kombination aus Altertum und der Moderne aus? Das modernste an der Platte ist ihre Produktion. Man lässt den Instrumenten ihren nach Vergangenheit klingenden Charme, arbeitet mit Reverb, verpasst der Gitarre einen ordentlichen Vintageeffekt und hier und da ein Echo. Die Qualität ist dabei 1A. Die Songs gestalten sich einfach, aber bleiben im Kopf und sind tanzbar. Wie es sich für Rock 'N' Roll gehört.

Die unerwartetste Veränderung befindet sich von den Titeln her genau in der Mitte des Albums und reißt die in die Rock 'N' Roll-Vibes vertiefte Hörerschaft aus ebendiesen: „Death Card“ ist schneller als der große Rest des Albums, startet ein bisschen á la Volbeat und klingt im Refrain nach The Offspring. Mit dem kleinen Unterschied, dass bis auf den Gesang alles immer noch nach Früher klingt, lange nicht so wuchtig wie die genannten Vergleichsbands. Die vielleicht am offensichtlichsten gebaute Brücke zwischen Tradition und Moderne auf „Retrofuture“. Im gleichen Atemzug kann man „Eyes Of The Night“ nennen, der durch seine aggressiven Riffs aus der Reihe tanzt. Wobei eher der Rest der Reihe tanzt beziehungsweise tanzbar ist, „Eyes Of The Night“ ist es eher nicht.

„Mi Amor La Luna“ bringt den Mexiko-Flair des Intros zurück und ist eine in spanisch gesungene Hymne für den einzigen natürlichen Satelliten unserer Erde. „Night Flower“ als Instrumentalstück lässt von längst vergangenen Zeiten in schummrigen Musikbars träumen und „Shadowlight“ beschließt die Reise letztendlich im typischen Stil der Band: Melodisch, rhythmisch, tanzbar. Wenn man DEN typischen Stil zwischen all den Facetten auf „Retrofuture“ überhaupt definieren kann.

Fazit

7
Wertung

Wenn Nick13 nicht gerade irgendeiner Valentina eine Liebeshymne singt, kann ich mich mit seiner Stimme und den Titeln auf „Retrofuture“ richtig gut arrangieren. Die von ihm erläuterten Brücken zwischen Altem und Neuem erschaffen einen Sound, der eine interessante Sichtweise auf Punkmusik und ihre Sparten ermöglicht. Mein Anspieltipp: „Last Ride“!

Mark Schneider
5.1
Wertung

Ich werde dieses Country-Ding zwar wohl nie komplett nachvollziehen können, "Retrofuture" hat in mir aber trotzdem ein bisschen Roadtrip-Nostalgie ausgelöst. Wer sich ein bisschen Lagerfeuer-Feeling in die WG-Küche holen will, ohne direkt den Toaster abzufackeln, dem sei dieses Album wärmstens empfohlen.

Kai Weingärtner