Swœr und "Unfinished Thoughts Of An Innocent Dead Child": Simple Emotionalität

Wie erzählt man eine Geschichte ohne Worte? Wie schreibt man einen Song ohne Text, bei dem die Message aber trotzdem vollkommen verständlich ist? Swœr zeigt uns, was viele Post-Rocker nicht schaffen. „Unfinished Thoughts Of An Innocent Dead Child“. erzählt die Geschichte eines Lebens in 12 Kapiteln. Eines Lebens, dass unser aller Leben sein könnte.
Swoer Unfinished Thoughts Of An Innocent Dead Child Cover

Nichts ist schwieriger als Musik ohne Text zu interpretieren und anderen zu beschreiben, allerdings malt Swœr einem Bilder auf die Innenseite der Augenlider. „The Lovely Memories In The Ground.“ macht den leicht melancholischen, aber recht unbeschwerten Einstieg. Der „Erzähler“ erinnert sich zurück an die schönen und leichten Kindertage, vielleicht um diese zu bewahren. Das sowieso schon langsame Tempo wird zum Ende hin nochmal verlangsamt.  „Try To Run Backwards.“ legt schon ein etwas schnelleres Tempo an den Tag, Gitarre und Bass stehen hier nicht im Vordergrund, sondern der wechselnde Schlagzeugrhythmus. Der Erzähler hat das Bewusstsein seiner eigenen Sterblichkeit erlangt und versucht verzweifelt, sein inneres Kind zu bewahren, das langsam in ihm stirbt.

Im grundsätzlichen Aufbau ist Postrock immer sehr ähnlich. Es gibt einen Grundton, der fast im kompletten Song zu hören ist. Am Anfang meist im Vordergrund, rückt der Ton immer mehr in den Hintergrund und wird von hallenden Gitarren, Bässen und Schlagzeug übertönt, bis die Instrumente zum Ende des Songs mit dem Leit-Riff langsam ausfaden und der Anfangston wieder in den Vordergrund rückt. „Try To Run Backwards.“ ist dafür das perfekte Beispiel. Bands wie God Is An Astronaut oder Caspian können einem beim Hören einfallen und tatsächlich sind sehr starke Ähnlichkeiten vorhanden. Nur das Swœr sich hauptsächlich die düsteren und schwereren Elemente herausgenommen hat und seinem Werk mit mehr Hall, Dissonanzen und viel Moll eine regelrechte emotionale Last aufgetragen hat, die sich auch leicht auf den Hörer überträgt.

Auch in „I Want To Save Our Souls.“ ist das so. Es schlägt wie schon in den Stücken zuvor ein sehr langsames Tempo an, dass sich allerdings etwas steigert. Der Erzähler versucht vor der Wahrheit und der ihm bevorstehenden Tristesse wegzurennen, wird aber selbst nicht schneller, sodass das Leben ihn einholt. Dieser Vorgang wird musikalisch einfach herausragend festgehalten. „It Settled Down Into You.“ ist das längste Stück des Albums, und zugleich der Wendepunkt der Geschichte. Es gleicht einem Neuanfang. Zweieinhalb Minuten wabert seichte Musik vor sich hin, bis weitere Instrumente einsetzen und Swœr einen Phoenix aus der Asche steigen lässt. Die Musik spielt auf und feiert sich damit selbst, bis sie wieder etwas abflacht. Der Phoenix beschaut sich und das was vor und hinter ihm liegt selbst, bis er zum Ende es Tracks nochmal aufspielt und sich damit all den kommenden Aufgaben stellt. Das letzte Kapitel „Until The Silence Mutes Us All“ liefert den runden Abschluss von „Unfinished Thoughts Of An Innocent Dead Child“. Die ersten eineinhalb Minuten werden nur von musikalischem Wabern beherrscht, bis recht unbeschwerte Riffs einsetzen, sich bis zur Verstummung wiederholen und nur noch der Grundton bleibt, der das Album vollends ausklingen lässt.

Was hat Swœr hier gemacht? Im Grunde nicht so viel. Die Stücke sind rein musikalisch betrachtet eigentlich nur solider und ruhiger Postrock. Allerdings bringt er eine Emotionalität in seine Klänge, die nur schwer in Worte zu fassen ist. Texte hätten das Album deshalb möglicherweise sogar verpfuscht. Ich kann wieder mal nur sagen: Chapeau!

Fazit

8.2
Wertung

„Unfinished Thoughts Of An Innocent Dead Child“ wühlt dich entweder auf, oder es geht dir am Arsch vorbei. Swœrs Geschichte, verpackt in ruhigem Postrock, schreit quasi nach mehr. Oder lässt mich zumindest mal höflich nachfragen.

Moritz Zelkowicz
7.2
Wertung

Postrock gibt es da draußen eine Menge. Die Interpretation von Swœr zeichnet sich aber nicht wie das Werk vieler Genre-Kollegen durch über-muskulösen Gigantismus, sondern im Gegenteil durch gelebten Minimalismus aus. Dadurch gewinnt die Musik von Erik Swiatloch eine emotionale Dichte, die viele andere Bands nur vorgeben - und so etwas habe ich in letzter Zeit wirklich schmerzlich vermisst!

Jakob Uhlig