Swain und "Negative Space" - Vom Charme der Faultiere

Die Erleichterung stand vielen Musikfans ins Gesicht geschrieben, als Grunge den Glamrock in seine Schranken verwies. Groß und pompös? Klein und dreckig! Nun hat der Rock seither an Strahlkraft eingebüßt und vielversprechende Sprösslinge sind eher im Verborgenen vorzufinden. So muss man mindestens ein zweites Mal hinsehen, um auf Swain zu stoßen. Lohnt sich der Mehraufwand?

Ein Faultier würde diese Frage schlichtweg mit „Nein“ beantworten. Die Meister der Lethargie verstehen sich darauf, ihre Stoffwechselrate derart rapide zu senken, dass man leicht über ihre Alleinstellungsmerkmale hinwegsieht. Algen im Pelz, ein spezieller Aufbau des Magens und die variable Körpertemperatur führen dazu, dass sie sich trotz chronischen Nährstoffmangels bestens zurechtfinden. Lautstarke Urwaldbewohner stehlen Ihnen die Show. Doch wer sich mit Ihnen befassen möchte, der wird ganz von selbst fasziniert sein. Der Rest lässt es eben bleiben. Jene Grundgelassenheit machen sich auch Swain zu eigen.

„Negative Space“ ist der bedachte Einstieg in eine vielseitige Platte. Das musikalische Pendel könnte noch in jede Himmelsrichtung ausschlagen. Psychedelisch und verschlossen: So begegnet die Band ihrer Hörerschaft. Von der Selbst-/Fremdverortung als Grunge-Band nimmt man von vornherein Abstand. Warum auch falsche Erwartungen wecken, die nur zu Enttäuschung und Missmut führen werden? Die Platte eignet sich eher zum gediegenen Träumen, Mitschunkeln und Kopfnicken, denn für schweißgebadete Liveekstasen. „But Then What“ erzeugt die heimelige Wohnzimmeratmosphäre mit den Klängen einer Spieluhr. Die Mid-Tempo-Nummer kapselt sich energisch vom Jähzorn der Genre-Wegbereiter ab. Nachdem auch „Uncomfortably Aware“ zwischen der Behäbigkeit von Black Sabbath und der Melodieführung eines Radio-Rockers schwankt, steht die Grundausrichtung von „Negative Space“ endgültig fest.

Die Überraschungen warten, wie die Band selbst, eher unscheinbar am Wegesrand. Das Jazz-/Blues-angehauchte „Dispel“ fungiert als Interlude, ehe „Fistful Of Hair“ ein vergleichsweises Höchstmaß an Dynamik aufnimmt. Backvocals, simple Strukturen und punktgenaue Drums lassen zwar nicht die Haare zu Berge stehen, doch sorgen sie für lückenloses Entertainment. „Self“ führt die Szenerie fort und avanciert zu einem echten Highlight: Hier bedarf es zur Abwechslung keines zweiten Blickes. Ein weitestgehend ruhiger Zeitgenosse, der sich in seiner 4-minütigen Spielzeit keinerlei Fehltritte erlaubt. Auch „Hit Me Till I Break My Bones“ fährt mit einem charmanten Refrain die tonalen Widerhaken aus und verbreitet grundgelassen Vibes.

„Big Dumb Guy“ - Na, wer hier wohl gemeint sein könnte? Der vermeintlich mächtigste Mann der Welt? Der mit einem fragwürdigem Geschmack für Haarfrisuren und einem Hang zur Exzentrik? Ohne zu konkret zu werden, handelt es sich um ein schönes, geschlechterübergreifens Duett. Einige B-Seiten können sich Swain nicht verkneifen. Die gequälten Hochlagen auf „Same Things“ sind maximal gewöhnungsbedürftig, „Skin on Skin“ plätschert ereignislos dahin und „Strange Light“ schließt die Platte recht durchschnittlich ab. Grund zur Sorge besteht jedoch zu keinem Zeitpunkt. So schnell lösen sich Krallen nicht von der Baumrinde.

„Negative Space“ drängt sich nicht auf. Swain hängen am Ast und lassen die Abenteurer (hier: Hörenden) auf sich zukommen. Gibt man dem Werk proaktiv eine Chance, so wirde diese zweifelsohne genutzt. Ob bereits nach dem erstem Durchhören oder zu einem späteren Zeitpunkt - das steht und fällt mit dem individuellen Geschmack. Auf kurz oder lang erkennt jede Skeptikerin und jeder Skeptiker die Stärken eines Faultieres.

Fazit

7
Wertung

Meine Ersteinschätzung und die abschließende Folgewertung lagen hier ein deutliches Stück auseinander. Erkennt man erst das Konzept, läuft „Negative Space“ auf Dauerschleife.

Marco Kampe
9
Wertung

Swain - abgefahren geil. Mit ihrem neuen Album "Negative Space" vereint die Band gekonnt Indie, Pop, Grunge und Rock und erinnert an Bands wie Foo Fighters oder die 70er-Jahre-Version der Beatles. Man kann dieses Album immer und überall hören, es hat alles, was das Herz begehrt. So viel musikalisches und kompositorisches Können auf einer Platte findet man selten. Aber bei Swain wird man fündig, wenn man sucht. Darüber hinaus ist das Albumcover auch ein echter Hingucker.

Jan-Severin Irsch