Strike Anywhere und „Nightmares of the West“: Zur rechten Zeit

Im Angesicht auskragender Proteste in den USA könnte es für eine politisch hochmotivierte Band wohl keinen passenderen Zeitpunkt geben, um nach über 10 Jahren mit einem neuen Longplayer für Furore zu sorgen. Doch reicht allein die günstige Ausgangslage für eine überzeugende Chancenverwertung?

Stellen man also „Nightmares of the West“ auf den Prüfstand, so weht dem Hörer ein unbändiger Hauch des Protests entgegen. Als hätten die jüngsten Gewalteskapaden in allerlei Bundesstaaten den Entstehungsprozess beflügelt und die Albumproduktion förmlich an den Haaren über die Release-Ziellinie gezogen, liefern Strike Anywhere eine grundsolide Punk-Rock-Performance. Selbstredend: Seit „American Idiot“ und der Bush-Ära ist einige Zeit verstrichen, doch die Projektionsflächen für musikalischen Widerstand sind wahrlich nicht minder gegenwärtig. 

Mal angepasst unangepasst, mal frei nach Belieben: Strike Anywhere schwanken auf ihrem jüngsten Output zwischen zweifelsohne rockender Melodieverliebtheit und knüppelnder Ablehnung des Status Quo. Speziell „Frontier Glitch“ bringt hierbei die Stärken der Vergangenheit kompromisslos auf den Punkt. Ecken, Kanten, Hardcore - so lautet das Patentrezept. Rund 100 Sekunden genügen, bis sich ein unbändiges Grinsen ob der Rückkehr dieser chronisch unterrepräsentierten Band breitmacht. „We Make The Road By Walking“ schlägt in eine ganz ähnliche Kerbe. Das treibende Noise-Spektakel dreht seinen Runden auf dem Plattenteller und transportiert einen enorm hohen Taktschlag durch die Membranen. Auch „Documentary“ geht ohne Umschweife direkt auf´s Ganze. Nebensächlichkeiten werden gekonnt fallengelassen, es zählt die Kampfansage. Und die eine oder andere ARTE-Dokumentation würde den Mächtigen der Welt sicherlich gut zu Gesicht stehen, oder etwa nicht?

Neben derlei althergebrachten Darbietungen drosseln Strike Anywhere immer mal wieder das Tempo. Große Melodien und hymnische Chöre haben in ihren Sound Einzug gehalten. So orientiert sich „Dress The Wounds“ eher an den Neuwerken von Anti-Flag, als an den klassischen Nackenbrechern von Agnostic Front. „Imperium Of Waste“ geht ebenfalls melodisch zu Werke und weist dabei ein gewisses Single-Potential auf. Das musikalische Highlight bildet der sechstplatzierte „Opener“. Rhythmuswechsel, eingängiges Riffing und straighte Ansagen vermischen sich zu einem schmackhaften Punk-Rock-Cocktail. Summa summarum äußert man im Falle dieser Platte etwaige Kritik auf hohem Niveau. Dennoch könnten gerade die letztgenannten Repräsentanten eine Prise mehr Rauheit und Straßendreck vertragen. Eine logische, wenn auch entschärfte Weiterentwicklung der Vorgängerwerke.

Fazit

6.6
Wertung

Eine zweigeteilte Platte, deren Ambivalenz auch einen gewissen Charme birgt. Fernab jeglicher Anbiederung ist „Nightmares Of The West“ eine gut hörbare Wiederauferstehung.

Marco Kampe