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Schrottgrenze und "Das Universum ist nicht binär": Scheuklappen runter

Die im Jahr 2017 begonnene queere Trilogie um die Alben "Glitzer auf Beton" und "Alles zerpflücken" findet im Jahr 2023 ein Ende, bei dem Schrottgrenze durch Einhalten der Basiswerte ihrer Musik nichts falsch machen können. Das bedeutet vor allem, dass die Inhalte der Hamburger wichtig wie eh und je bleiben.

In der Welt von Schrottgrenze dreht sich seit jeher viel um Liebe, Akzeptanz und die positive Grundeinstellung zum Leben. Das wird nicht nur in den Texten der Band niedergeschrieben, sondern man spürt es vor allem auch in der Art und Weise ihrer Musik. Seien es die Cover der Alben, die präsentierte Kleidung oder auch die Musik an sich. Die positiven Klänge sind sicht- und hörbar bunt und schwingen auch dann mit, wenn Schrottgrenze das machen, was ebenso schon lange zum Themenfeld der Gruppe gehört: Kritisieren. "Das Universum ist nicht binär" findet erneut einen Mittelweg zwischen wichtigen, kritisch zu betrachtenden Themen und gleichzeitiger Hoffnung auf Veränderung. Das Ganze wird verpackt in fast schon entspannende Töne. Schrottgrenze beziehen nach wie vor Stellung, waren dabei aber bereits in der Vergangenheit nicht so für Aggressionen in Wort und Klang bekannt, wie man es von manchen Szenekolleg:innen kennt.

"Das Universum ist nicht binär, doch die Erde tut sich schwer". Schrottgrenze platzieren eine der wichtigsten Aussagen bereits in der Hauptzeile ihres neuen Albums: Denken in Schubladen, Klischees und nur in Schwarz und Weiß ist ein vom Menschen gemachtes Problem. Dass sich immer noch große Teile der Menschheit in der Abneigung gegen all diejenigen vereinen, die sich beispielhaft selbst nicht als Teil von vorgegebenen Geschlechtern sehen und fühlen, ist seit jeher einer der großen Kritikpunkte der Band. Dass Sängerin Saskia Lavaux als Alexander in ihr Leben startete, macht all die besungenen Probleme und Vorurteile nicht nur deutlich nachfühlbarer, sondern bietet natürlich auch Angriffsfläche für Engstirnige. Hier zeigen Schrottgrenze zum Glück Flagge und werden nicht müde darin, sich für all diejenigen einzusetzen, die sich tagtäglich Ausgrenzung und Vorverurteilung ausgesetzt sehen.

Es gibt auf dem neuen Album von Schrottgrenze viel Buntes, viel Liebe und viel Weltoffenheit. Ein gutes Beispiel ist der Song "Happyland", in dem Saskia nur "Good vibes only" in den vermeintlichen Social Media Stories sieht. Diese heile Welt scheint hier zunächst eine unironisch gemeinte Darstellung zu sein. Dass dann jedoch von "Toxic positivity" gesungen wird, öffnet den Raum zum Überdenken dieser Zeilen und skizziert die Möglichkeit, dass hier mehr dahinter stecken könnte als der auf den ersten Blick zu offensichtliche Friede, Freude, Eierkuchen-Song. "Immer für mich da" ist im Kontrast dazu ein wirklich ernst gemeintes Danke an eine Person, die dieses Danke einfach mal verdient hat. Kleiner Tipp: Einfach mal unkommentiert an jemanden verschicken, der genau das mal wieder gesagt bekommen sollte.

Die Bühne für die kritischen Töne nutzen Schrottgrenze am offensichtlichsten in "Lieber Regen" ("bitte wegspülen!"). Hier werden diejenigen, die "voller Sehnsucht nach Gewalt immer mit allem Fremdeln" zur Zielscheibe des nächsten bildlichen Regengusses. Was nach unerwartet harten Worten aus dem Repertoire von Saskia Lavaux klingt, wird gegenüber den der Band wohl entgegengebrachten Fantasien im Schutz der Anonymität beinahe ein Freundschaftsangebot sein. Dass selbst "Männerfantasien", "Dysphorie" und "Bürokratie" (als nähere und negativ behaftete Betrachtung ebendieser) als textlich kritische Nummern in das Kleid der dem Leben positiv entgegenstehenden Musik des Quartetts gehüllt werden, steht stellvertretend für die mit Hoffnung belebte Herangehensweise von Schrottgrenze an die in so vielen Punkten unperfekten Welt.

Fazit

7.2
Wertung

Schrottgrenze nehmen einem mal wieder die Scheuklappen von den Augen und öffnen das Sichtfeld für gesellschaftliche Missstände. Dass die Band dabei nie die Hoffnung auf Verbesserung verliert, hört man vor allem im musikalischen Aspekt auf "Das Universum ist nicht binär". Ein weiteres Album der Gruppe um Saskia Lavaux, das allen zur Seite springt, die das Hinnehmen von festgefahrenen Strukturen satt sind.

Mark Schneider