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Schandmaul und „Artus“: Altertümlicher Charme

Die Signale in der Folk- und Mittelalterszene weisen unisono in Richtung Moderne. Kritik am Zeitgeist, am Konsumverhalten und am Stumpfsinn vieler Medien. Dass kommerzieller Erfolg auch mit einer Rückbesinnung möglich ist, mit einem Rückzug in romantisierte Drachentötergeschichten, zeigt nicht zuletzt der zweite Platz in den deutschen Charts. „Artus“ Klinge ist gewetzt und bereit zum Kampf.

Die Vorgänger „Leuchtfeuer“ und „Unendlich“ machten es dem Hörer durchaus schwer, den jeweiligen roten Faden herauszukristallisieren. Trinkhymnen, tagespolitisches Chaos, Mythologie und zwischenmenschliche Zerwürfnisse drückten sich gegenseitig die Türklinke in die Hand. Eine wilde Mixtur all jener Inhalte, die dem vielköpfigen Musikergespann während des Entstehungsprozesses mutmaßlich im Sinn lagen. Auf „Artus“ hingegen erschließt sich die inhaltliche Ausrichtung eines jeden Songs mit dem ersten Lesen des jeweiligen Titels. Man wirkt gefestigt und widmet sich den unbestrittenen Stärken: Träumerischen Texte mit schmissigen Klängen.

Das Paradebeispiel hierfür ist „Der Meisterdieb“. Ein verkappter Rocker, dessen trabender Druck im Strophenverlauf zunehmend dem Schandmaul-typischen, leichtfüßigen Tippeln weicht. Leichte Anleihen an der „Königin“ (vom Album „Anderswelt“) sind unbestreitbar - doch was bereits vor Jahren ins Schwarze traf, verfehlt auch 2019 seine Wirkung nicht. Es werden wieder Lagerfeuergeschichten erzählt, was so manchem Hardliner durchaus ein Grinsen entlocken dürfte. Geschichten, welche sich weitestgehend um den Kosmos von König Arthur drehen. „Die Insel - Ynys Yr Afallon“ (auch als Avalon bekannt) ist seit jeher Sehnsuchtsort umtriebiger Barden. Auch das bayerische Septett befindet sich in dessen Bann und übersetzt diese Begeisterung kurzerhand in Verse und Noten. Maritime Metaphorik nimmt ohnehin einen hohen Stellenwert ein. Ob es nun das behutsam vorgetragene Fernweh bei „Auf und davon“ ist oder das direkt daran anknüpfende „Kapitän“: Die Segel blähen sich langsam auf und treiben den Kahn in Richtung Horizont. An Binsenweisheiten und Seemansparolen mangelt es ebenso wenig wie an Spielfreude und Kunstgeist.

Doch auch „Artus“ muss mit kleineren Flauten haushalten. „Der weiße Wal“ bleibt unbefleckt und kann kaum Duftnoten setzen. „Der Froschkönig“ war von vornherein eine fragwürdige Auskopplung, die den Gebrüdern Grimm mindestens unruhige Träume bescheren dürfte. Und „Der Gral“ ist allenfalls bandtypischer Durchschnitt, wobei diesem das interessante Pyrinäen-Setting zugutegehalten werden muss. Speziell die zweite Albumhälfte steht den anfänglichen Liedern ein wenig nach. So setzt „Der Totengräber“ gleich zu Beginn ein schunkelndes Ausrufezeichen, welches sich im weiteren Verlauf sogar zum Tanze eignet. Nicht ganz so schwungvoll, dafür umso brachialer geht es mit der „Oboe“ zu. Die Strophen pfeffern dem Hörer brachiale Riffs entgegen, während gerade der Refrain die Spannung löst. Ein interessantes Konzept, das pro zusätzlichen Durchlauf an Überzeugungskraft gewinnt. „Die Tafelrunde“, „Vagabunden“ und das ausladende „Chevaliers“ runden jenes bunte Treiben ab. Keine groben Schnitzer, viel guter Durschnitt und zwei bis drei Spitzen: Zu welcher Wertung mag eine solche Ausbeute führen?

Nun, die zahlreichen Social-Media-Bewerbungen der Musikerkollegen um In Extremo, Versengold und Konsorten waren sicherlich mehr glaubhafte Begeisterung, denn lästige Pflichterfüllung. Schandmaul verleihen dem Altertum, das mit Attributen wie „überholt“ oder „altbacken“ assoziiert wird, neuen Farben. Keine schlechte Ergänzung des Kataloges.

Fazit

5.9
Wertung

Unser europäischer Kulturkreis hält glücklicherweise noch weitere Heldengeschichten bereit – So darf man neugierig auf das Nachfolgewerk warten und in die Geschichten von König Arthur eintauchen.

Marco Kampe