Rogers und „Mittelfinger für immer“: Four in a row

Auf dem letzten Album hatten die Rogers nach eigener Aussage musikalisch zurückgesteckt, um den Fokus und die Aufmerksamkeit der Zuhörerschaft stärker auf die Texte zu richten. Auf „Mittelfinger für immer“ sieht das dann doch wieder anders aus.

„Augen auf“ war in vielerlei Hinsicht brillant. Die textliche Finesse, gepaart mit dem brisanten Inhalt, war der erhobene Mittelfinger gegenüber der Politik. „Mittelfinger für immer“ erhebt eben diesen nun mehr in Richtung Gesellschaft, aber auch gegen sich selbst.

Beim Einstiegssong „Einen letzten Abend“ bekommen wir den Beweis: Wohoo-Chants im deutschen Punk sind doch nicht nur für Betontod reserviert und an dieser Stelle durchaus angebracht. Die Nostalgie dieser Nummer, das schmerzliche Zurücksehnen an angenehmere, leichtere Zeiten: Das sind Themen, welche sich durch die Platte, wenn nicht sogar durch die gesamte Rogers-Vita zieht. Außerdem singen sie von der Sehnsucht nach Freiheit und vom Umgang mit dem eigenen Werdegang, im weitesten Sinne sogar mit dem Älterwerden. Gerade in Bezug auf das Älterwerden, bekommt so mancher Song eine andere Tragweite, wenn man bedenkt, dass die Rogers selbst noch relativ jung sind. Während die Toten Hosen auf ihrem jüngsten Album das Älterwerden an sich thematisieren, betrauern die Rogers noch existenzieller den Verlust der eigenen Jugend. Und auch, wenn man all das schon öfter gehört hat, so wird der Inhalt hier in selten dagewesener Offenheit und Schonungslosigkeit auf sich selbst projiziert. So offenbart „Mittelfinger für immer“ einen völlig unerwarteten Einblick in das Seelenleben der Düsseldorfer.

Jan Windmeier oder Ingo Donot, die beiden sind derzeit augenscheinlich die beliebtesten Feature-Gäste im deutschen Punk. Letzterer ist dann auch zu Gast in der ersten Singleauskopplung „Zu spät“, einem eingängigen Spektakel, das festhält, wie wir unsere Erde zerstören. Und weil ein Ohrwurm den nächsten jagt, ertönt der Titelsong „Mittelfinger für immer“ direkt hinterher. Das ist Wohlfühl-Pop-Punk vom Feinsten - mit hohem Identifikationspotential für jeden. Balsam für die Seele. „Geh mir bitte nicht mehr auf die Eier“ wirkt ein wenig wie der zweite Teil von „Einen Scheiß muss ich“ der Vorgänger-Platte. Obwohl der Chorus beim ersten Hören etwas holprig klingt, so macht der Song deshalb nicht weniger Spaß.

Eine große Überraschung ist „Ganz nach oben“. Die Religionskritik im Allgemeinen, die Kirchenkritik im Speziellen, wurde zwar bereits auf „Augen auf“ thematisiert, doch längst nicht so ausführlich, wie es hier geschieht. Die Offenheit und besonders die Tatsache, dass diese Kritik konstruktiv erscheint, machen diesen Song so wertvoll. Natürlich könnte man auch versuchen, die Hörerschaft mit bloßem Kirchen-Bashing zu unterhalten, doch die intelligent geäußerte Kritik ist es, die die Hörenden noch zum Nachdenken bewegt. Ein weiteres Highlight ist „Hartes Leben“ mit Schmiddelfinga als weiteren Feature-Gast - first world problems at it‘s best – und wer noch ein treibendes Punkgemetzel vermisst, wird in „Wer wirft den ersten Schein“ fündig, einer Anklage gegen den neuen Gott: das Geld.

Hoffnung, Angst, Wut, Resignation und viel Punk. „Mittelfinger für immer“ braucht beim Hören vielleicht den ein oder anderen Anlauf, doch das Album trifft ins Schwarze, nämlich ins Herz. Es stellt generationsübergreifende Fragen, sucht nach Antworten, die es nicht gibt und reißt Wunden auf, um sie anschließend selbst zu verbinden. Die Rogers haben nicht nur den Puls der Zeit erwischt, sondern auch den Puls der Hörerschaft.

Fazit

7.7
Wertung

Zugegeben, die Platte hat ein paar Durchläufe gebraucht, um ihren kompletten Esprit entfalten zu können, doch dann hat sie das Potential, dich komplett aus den Socken zu hauen. Viertes Album, vierter Volltreffer!

Moritz Zelkowicz
7.6
Wertung

"Mittelfinger Für Immer" ist ein solides Punkrock-Album mit wenigen Schwächen, einmal abgesehen vom Titel-Track. Rogers beherrschen ihr Handwerk und liefern eine Menge gute Songs mit Live-Potenzial. 

Lucio Waßill