Reviews

Rise Against und "Nowhere Generation" - Etablierter Protest

Rise Against haben mit einem Widerspruch zu kämpfen, der schon so viele zunehmend erfolgreiche Künstler aus dem progressiven Milieu ereilt hat: Sie rebellieren gegen ein System, in dem sie selbst unweigerlicher Bestandteil sind. Auf professionelle Art und Weise erscheinen sie dennoch authentisch und schaffen es folgerichtig auch auf „Nowhere Generation“, die großen Wunden unserer Zeit zu sezieren.

Seit rund zwei Jahrzehnten sind die Mannen aus Chicago schon unterwegs. Zunächst hat man im Fahrwasser großer Hardcore-Heroen das Laufen erlernt, dann Stück für Stück an Melodie und Tiefgang hinzugewonnen. Jugendliche Erbostheit ist erwachsenem, aber weiterhin kritischem Gedankengut gewichen und Tim McIlraths Stimmbänder sind ihrem unweigerlich erscheinenden Ende zum gefühlt einhundertsten Male knapp entkommen. Nach den „Ghost Note Symphonies“, ihrem jüngsten, rein akustischen Output, ist es nun wieder Zeit, allen Reglern ihren maximalen Output zu entlocken. Doch wie energisch kommen Rise Against auf ihrem mittlerweile neunten Studioalbum daher?

„Talking To Ourselves“ wurde als dritte Vorab-Single veröffentlicht und ist gleichzeitig ein Sinnbild für die Geschicke des gesamten Albums. Es handelt sich um unbestreitbar solide Kost, die allerdings weder mit Überraschungsmomenten, noch mit polarisierenden Arrangements aufwarten kann. Es klingt nett, es ist teilweise temporeich, es wirkt bemüht. „Monarch“ schlägt in eine ähnliche Kerbe, wobei hier Zach Blairs C-Part lobend hervorzuheben ist. Die Band ist und bleibt politisch hochaktiv. Auch „Middle Of a Dream“ belegt dies. Konzeptionell befasst sich „Nowhere Generation“ mit den vermeintlich Chancenlosen und Abgehängten. Jenen, für die der American Dream eine Fata Morgana Hollywoods und gesellschaftliche Anerkennung ein Fremdwort ist. Der Titeltrack ist trotz seines Hintergrundes auffallend radiotauglich und definitiv hymnisch genug, ein immerwährendes Wir-Gefühl im Eifer des Protests zu vermitteln.

„Sudden Urge“ erntet die Früchte der kreativen Schaffenspause. Geht dieser Song anfänglich an den hiesigen Erwartungen vorbei, mausert er sich im weiteren Verlauf doch zu einer überzeugenden RA-Nummer und hält auch ein spannendes Finale parat. „Broken Dreams“ ist bereits aus dem vergangenen Jahr bekannt und man hätte wohl kaum vermutet, diesen Song jemals auf einem vollwertigen Studioalbum wiederzufinden. Nicht herausragend, aber griffig und mit hoher Dynamik. Mit „Forfeit“ traut man sich endlich wieder an eine Ballade heran. „Wolves“ hatte gänzlich darauf verzichtet und die Sehnsucht nach der obligatorischen Akustiknummer ist dementsprechend groß. Wunderschön arrangierte, schwermütige Zeilen schmücken einen echten Höhepunkt der Platte und man hofft ganz automatisch auf eine baldige Bühnendarbietung. „The Numbers“ könnte in dieser Form auch auf „Appeal To Reason“ zu finden gewesen sein. Die Strophen zeigen die Intensität der frühen Jahre, während die einprägsamen Refrains in ihrer Protest-Lyrik erstrahlen. Dieser Mixtur entzieht man sich nicht aus freien Stücken. „Sooner or Later“ ist ein erwachsener Song im besten Sinne. Tiefgreifende Melancholie wird in Zukunftshoffnungen umgemünzt und sogar mit einem kurzen, stimmlichen Ausbruch intensiviert. Darf „schön“ ein Attribut für Punk-Rock-Bands sein? In diesem Fall ja.

Alles in allem bedienen Rise Against alle Bandepochen in ausgewogenen Anteilen und ruhen sich dabei auf den wohlverdienten Lorbeeren aus. Wer Fan ist, bleibt Fan und wird wohl auch immer ein Fan sein. Ein wenig mehr Innovationskraft darf man sich für die nächsten Jahren dennoch wünschen.

Fazit

6.8
Wertung

Rise Against sind eine Institution und konnten Popularität erlangen, ohne sich auf kalkulierte Provokation oder zweifelhafte Skandale verlassen zu müssen. Man möchte vom „Everybody's Darling“ der Szene sprechen, der hier einmal mehr unterstreicht, warum dieses Prädikat auch im dritten Bandjahrzehnt keineswegs negativ konnotiert ist. Für den großen Wurf bietet „Nowhere Generation“ allerdings zu viel Mittelmaß.

Marco Kampe